Freitag, 10. Februar 2012
Abschied
Als ich diesen Blog vor über einem Jahr begonnen habe, war er dazu gedacht, einen Eindruck vom Leben in Dahab zu vermitteln. Dann kam die ägyptische Revolution und das Leben veränderte sich unwiederbringlich. Es waren keine radikalen Veränderungen, vieles geschah fast unmerklich, schleichend und langsam. Nur weniges veränderte sich zum Guten.
Die Lebensmittelpreise stiegen an. Das taten sie zwar schon seit einigen Jahren, doch im letzten Jahre war dies deutlich spürbar. Es kamen weniger Touristen. Das hatten wir auch schon zuvor erlebt, zum Beispiel nach den Bombenanschlägen von 2007 und wie damals wird sich der Tourismus auch davon in ein oder zwei Jahren wieder erholen.
Sehr deutlich spürbar war die veränderte Sicherheitslage. Es wurde sehr viel mehr eingebrochen und gestohlen, ein Zeichen dafür, in welcher prekären Situation sich viele Ägypter befinden und wie viel weniger die Polizei zur Aufrechterhaltung der öffentlich Sicherheit beiträgt. Manche Medienberichte bezeichneten den Sinai als rechtsfreien Raum und dazu konnte man nur zustimmend nicken.
Zu den guten Veränderungen gehört, dass die Beduinen sich organisieren und lautstark auf ihre Probleme und Forderungen aufmerksam machen. Die Sicherheitslücken ermöglichen zumindest ihnen, wieder mehr Kontrolle auf eigenem Land auszuüben. Ob das allerdings eine dauerhafte Entwicklung ist, bleibt abzuwarten.
So wie nicht abzusehen ist, ob es für Ägypten tatsächlich eine Veränderung in Richtung Demokratie, Freiheit und mehr soziale Gerechtigkeit geben wird. Die Masse der Bevölkerung wünscht sich nicht viel mehr als Arbeit, genug zu essen und die Möglichkeit, die Kinder auf eine gute Schule zu schicken. Doch die Mächtigen fürchten, aus diesen Kindern könnten einmal mündige Bürger werden, die dann noch viel mehr fordern, wie Mitspracherecht, die Möglichkeit unbeschadet seine Meinung zu äußern und das Recht, Missstände anzuklagen. Die jungen Leute, die die Revolution immer noch am Laufen halten, sind genau das: gut ausgebildet und doch ohne Chance auf ein freies und selbstbestimmtes Leben mit guten Einkommensmöglichkeiten. Talent, Ehrgeiz und Können zählen in einem korrupten System wie Ägypten nicht. Weiter bringt einen nur Geld, Familienverbindungen und der Kontakt zu einflussreichen Leuten und dieser Weg steht nur wenigen offen.
So ringen die verschiedenen gesellschaftlichen Kräfte um neue Machtverhältnisse. Die alte Garde will nicht abtreten und kann die Zeichen der Zeit nicht erkennen. Die Jungen haben nichts zu verlieren. Es erscheint ihnen besser, ihr Leben auf der Straße im Kampf gegen ein ungerechtes System zu verlieren als mit einem hoffnungslosen Leben, in dem man vor allem schikaniert und gedemütigt wird, weiter zu machen.
Wie viele, die die Gastfreundschaft Ägyptens so oft genossen hat, wünsche ich den Menschen dieses großartigen Landes, dass sie mehr von den Rechten und von dem Wohlstand erringen können, die für uns in Europa so selbstverständlich sind.
Für mich persönlich war es Zeit, Ägypten zu verlassen und in Europa ein neues Leben zu beginnen. Darum werde ich diesen Blog beenden und danke allen LeserInnen, die sich die Zeit genommen haben, meinen Berichten Aufmerksamkeit zu schenken.



Mittwoch, 28. September 2011
Der Cyber-Revolution-Side-Effect
Man sagt, die arabische Revolutionsbewegung, die sich seit dem Frühjahr 2011 durch Nordafrika und den Nahen Osten bewegt, begründe sich unter anderem auf das Internet und soziale Netzwerke wie Facebook. Welch wichtiges politisches Hilfsmittel das Internet auch in der Organisation der Demonstrationen in Ägypten und den anderen Ländern dargestellt haben mag, es ist interessant zu beobachten, wie die Menschen in einer spezifischen Nachwirkungen der massenhaften Nutzung die neuen Freiheiten und Möglichkeiten der virtuellen Welt für sich entdeckten.
In explosionsartigen Weise vernetzen sich Menschen, finden für gemeinsame Unternehmungen zusammen, informieren sich über gegenseitig über wichtige und unwichtige Dinge und knüpfen Kontakte mit Unbekannten, die sie im alltäglichen Leben vielleicht nie getroffen hätten.
In den letzten sechs Monaten ist die Anzahl der Foren auf Facebook, die sich mit Dahab beschäftigen, von drei, vier auf eine unübersehbare Menge angewachsen, eine Auswahl sind z.B. Dahab 4 Women, Dahab sale, Dahab Expats, Dahab News & Talk, Dahab Garden, Dahab Community Market usw.
Wo immer Menschen zusammen kommen, ob real oder virtuell, gibt es Tratsch, Gerüchte und als Wahrheit dargestellte Vermutungen. Im Internet verliert man schnell seinen guten Ruf, wird diffamiert und beschimpft, ohne dass man sich dagegen wirklich zur Wehr setzen könnte. In der Anonymität einer Großstadt mag das nicht so schlimm sein, doch in kleineren Netzwerken wie einer Schule, einer Firma oder einem Dorf wie Dahab kann das verheerende Auswirkungen haben.
Die sozialen Netzwerke wie Facebook oder Google+ lassen eine neue virtuelle Öffentlichkeit entstehen, der mittelalterliche Marktplatz wird sozusagen neu erfunden. Und so wie man im Mittelalter Sünder und Verurteilte am Marktplatz an den Pranger stellte, genauso stellt man heute Menschen an den virtuellen Pranger, in diesem Fall allerdings ohne Verurteilung, sondern einfach nur, weil jemanden die Äußerung eines anderen nicht gefällt.
Wir hören von Schülern, die Selbstmord begehen, weil sie zuvor durch Cyber-Mobbing öffentlich gedemütigt und entblößt wurden. Jemand kann seine Arbeit kündigen, weil er sich durch Attacken im Netz verfolgt und gedemütigt fühlen.
In einem kleinen Ort wie Dahab, wo überdurchschnittliche viele Menschen lokal und international vernetzt sind, ist so ein virtueller Pranger schnell aufgestellt und der Nicht-Verurteilte - also dem Gesetz nach noch als Unschuldig geltende - ist freigegeben mit allem verbalen Schmutz und Gemeinheiten beworfen zu werden, die der unbegrenzten menschlichen Fantasie ad hoc einfällt. Begriffe wie Netiquette (http://en.wikipedia.org/wiki/Netiquette) sind hier kaum jemanden ein Begriff, noch gibt es die Tendenz, sich an irgendwelche sozialen Regeln wie Achtung oder Respekt zu halten.
Eine private Anfrage in einem Facebook-Forum wird dann schnell landesweit von Unbekannten be- und verurteilt, wird bewertet und verworfen. Jeder, der dazu eine Meinung hat, tut diese auch weit schweifend kund oder - im besten Falle - gibt seine Unterstützung bekannt. Auf die Anfrage selbst geht kaum jemand ein, es gibt kein Ja oder Nein oder tiefergehende Fragen. Stattdessen müssen unzählige Menschen – wie wir in Österreich so schön sagen – ihren Senf dazu geben. Sie geben ihre Meinung ab, die Sachfrage ist unwichtig, wichtig ist nur, dass man dem Fragesteller gehörig seine Meinung sagt.
Die neu entdeckten Möglichkeiten des Internets geben einem Nutzer plötzlich große Macht und setzten durch die virtuelle Distanz die Hemmschwelle für Verurteilungen und Tratsch stark herab. In dieser Weise wird menschliches Verhalten und menschliche Bedürfnisse in einem Maße beurteilt und ungeniert abgewertet, dass sich immer mehr Benutzer in sozialen Foren unwohl fühlen und sich von den virtuellen Netzwerken zurückziehen. Sie verlieren dadurch die Vorteile der sozialen Vernetzung, aber das ist ihnen dann weniger wichtig als ihre persönliche Integrität.



Dienstag, 5. Juli 2011
Aufwachen nach der Revolution
Die Zeit nach der glorreichen ägyptischen Revolution ist wie das Aufwachen nach einer durchzechten Nacht. Man hat einen Kater, Kopfschmerzen, einen bitteren Geschmack im Mund und weiß nicht recht, wo man sich befindet.
So sitzt die ägyptische Gesellschaft in diesen Wochen mit hängendem Kopf am Küchentisch und versucht sich zu erinnern, was eigentlich in der letzten Nacht geschehen ist.
Ein Wunder ist geschehen, der alte, unfähige Diktator (plötzlich nennt ihn jeder bei diesem Namen und der respektvolle Präsidententitel wurde am Tahrir Platz begraben) ist von der Bildfläche verschwunden. Die Euphorie des Siegesrausches hält niemals lange an und nüchtern betrachtet sieht die Zukunft unsicher, wenn nicht gar besorgniserregend aus.
Mit der Vertreibung des Diktator hat man auch die Touristen vertrieben. Ein Viertel aller Ägypter lebt direkt oder indirekt von den Einnahmen aus dem Tourismus. Eine Reisende berichtete, sie wäre mit nur zehn anderen Leuten bei den Pyramiden gewesen, wo sonst hunderte oder gar tausende Menschen herumwandern. Das ist ein unvorstellbares Bild, wenn man selbst die Pyramiden im Geschiebe von Touristenmassen besucht hat. Der Sommer hat begonnen und seine Hitze hält immer Besucher von einer Reise nach Ägypten ab. Es ist vorauszusehen, dass sich erst im Oktober - in der besten Reisezeit - die Hotels wieder füllen werden, aber auch das nur, wenn die bevorstehenden Wahlen im September friedlich über die Bühne gehen. Erst nächste Weihnachten könnte die Tourismusmaschine wieder voll anlaufen, doch wie sollen die vielen Menschen, die ohne Arbeitslose oder finanzielle Rücklagen vom Tourismus leben, diese sechs Monate überstehen?
Die Wahlen im September sollen der erste Schritt in Richtung Demokratisierung sein, doch tiefgreifende Veränderungen in der Gesellschaft werden mindestens fünf oder zehn, manche sagen sogar zwanzig Jahre dauern. Angesichts der wirtschaftlichen Misere ist das ein Zeitraum, für den nur wenige Ägypter die Geduld aufbringen können. In einem Zeitalter, in dem Geldgier und Egoismus als Tugenden angesehen werden, ist es noch viel schwieriger, von der ägyptischen Bevölkerung Solidarität und Beharrlichkeit zu verlangen. Sollte Hunger und Not in nächster Zeit ein Problem für einen großen Teil der Menschen hier werden, dann ist das Land auf dem besten Weg in die nächste Diktatur. Die alten Machthaber, das Militär, die Mitglieder der alten, nun aufgelösten Regierung, die korrupte und verkruste Verwaltung und die sehr reichen Familien, geben nur ungern etwas her, und werden das nur unter massiven Druck der Straße tun. In Tunesien fürchtet man schon um den Erfolg der Revolution und dasselbe geschieht auch in Ägypten. Wir alle hoffen, dass die jungen, demokratisch gesinnten Kräfte über genug Einfluss verfügen, um dieses Land in eine bessere Zukunft zu führen. So schnell das eben geht. Und wir wünschen den Ägyptern, dass sie weiterhin stolz auf ihr Land und ihre Leistungen sein können.



Samstag, 18. Juni 2011
Zweierlei Maß - eine kleine Entwicklungshilfe
Den kleinen Leuten – und das ist in Ägypten die Masse – geht durch den fehlenden Tourismus und der schlechten Wirtschaftslage allmählich das Geld aus. In Dahab werden die Kellner kaum mehr bezahlt, Mieten für Geschäfte nicht mehr bezahlt und über die steigenden Lebensmittelpreise wird allerorten gejammert. Ein Kilo Reis kostete bis vor kurzem noch 3,50 ägyptische Pfund, jetzt sind es auf einmal 5 Pfund. Der Gemüsehändler lässt mich für das Kilo Tomaten 5 Pfund zahlen, während er von einem ägyptischen Kunden nur 3 Pfund nimmt. Ich habe beschlossen, mich darüber nicht mehr zu ärgern oder auf mein Recht auf einen gleichen Preis zu bestehen. Ich besitze genug Geld, um mir auch die überteuerten Lebensmittel leisten zu können, ich besitze sogar soviel Geld, dass ich jetzt nach Europa reisen kann, um meine Familie zu besuchen. Der Gemüsehändler hat in seinem Leben niemals die Möglichkeit eine Urlaubsreise nach Europa zu machen. Ich fand es auch in Ordnung, dass ich bei dem Besuch des Taj Mahals in Indien, 500% mehr zahlte als ein indischer Besucher. Zu diesem Zeitpunkt verdiente ich etwa 1000% mehr als ein durchschnittlicher Inder. Es ist gerechtfertigt, dass ich meine „Entwicklungshilfe“ auf diese Weise leiste, auch jetzt in Ägypten.
Für europäische Verhältnisse bin ich eine arme Kirchenmaus, für ägyptische Verhältnisse bin ich wohlhabend. Und so lange ich das bin, folge ich der islamischen Richtlinie, etwas 10% meines Einkommens an Bedürftigere weiterzugeben. Ich würde nicht 50 Pfund für ein Medikament zahlen, von dem ich weiß, dass es nur 2,50 Pfund kostet, so etwas ist hier auch schon vorgekommen. Aber ich erspare mir den Ärger und den Frust, das sonst aus dem Gefühl der Ungerechtigkeit geboren wird, und gebe dem Gemüsehändler, was er verlangt, in der Hoffnung, dass meine finanzielle Unterstützung wenigstens seiner Familie weiterhilft.



Dienstag, 17. Mai 2011
Mulitkulti Kinder in Dahab
In Dahab wächst eine interessante Generation heran. Ich glaube nicht, dass es an einem anderen Ort in Ägypten so viele kulturell gemischte Ehen und Beziehungen gibt wie hier.

Der klassische Fall ist eine Europäerin, die hierher auf Urlaub kommt, sich verliebt und der Beziehung wegen nach Dahab zieht. Der größte Anteil der gemischten Ehen ist hier ägyptisch/europäisch, wobei Europäisch sich auch auf weit hinter den Kaukasus bezieht.

Schon etwas ungewöhnlicher sind Ehe zwischen Beduinen und Europäerinnen, doch auch davon gibt es in Dahab mehr als sonst irgendwo. Kinder aus diesen Beziehungen haben es schwer, da die Beduinen-Gesellschaft sie nicht akzeptieren kann. Abstammung und Familienzugehörigkeit sind für die Beduinen sehr wichtig, Mischlingskinder sind folglich"Bastarde", die keine sozial geachtete Stellung erklimmen können.

Damit ist die breite Palette der kulturellen Vermischungen in dieser Kleinstadt von vielleicht 10.000 Menschen bei weitem nicht zu Ende.

So gibt es hier z.B. auch einen Ägypter aus Alexandria, der mit einer Tunesierin verheiratet ist, beide sind jedoch auch Kanadische Staatsbürger. Ihre Kinder wurden in Kanada geboren und verbrachten dort ihre ersten Lebensjahre, bevor sie in das internationale Dorf Dahab zogen.

Von der Anzahl der Nationen her könnte man Dahab für eine Weltmetropole halten.

Eine Estländerin fand und verlor (durch einen Autounfall) hier in Dahab ihren deutschen Ehemann und Vater ihres Kindes. Eine Australierin und ein Schwede verliebten sich in Dahab und zogen erst letzte Jahr nach Australien, um dort eine Familie zu gründen. Eine Deutsche trifft hier einen Engländer indischer Abstammung und gemeinsam versuchen sie nun, sich eine Zukunft aufzubauen. Eine Irländerin begegnet der Liebe ihres Lebens hier in Person eines Dänen, der auch Halbägypter ist. Eine Russin mit einem Italiener, eine Hongkong-Chinesin mit einem Deutschen, eine Südafrikanerin mit einem Ägypter, der in der Schweiz aufgewachsen ist und einen Schweizer Pass hat, die Liste lässt sich endlos fortsetzen.

Die Umgangssprache in den meisten dieser Beziehungen ist Englisch, das alle mehr oder weniger gut beherrschen. Kinder aus diesen Beziehungen wachsen hier mit mindestens drei Sprachen auf und können sich mit fünf oder sechs Jahren fließend in Englisch, Arabisch und die jeweilige Muttersprache der Eltern ausdrücken. Meist lernen sie auch noch Bruchstücke von Spielgefährten wie Deutsch, Französisch, Russisch oder Beduinen-Arabisch. Das Lieblingswort eines Kindes, das einen englischen Vater und eine Singapur-Chinesin zur Mutter hat, ist AUTO. Das hat er von seinem besten Freund gelernt, der einer österreichisch-deutschen Beziehung entstammt. Dieser deutsche Vater wiederum ist ein Bayer, dessen Mutter in Nachkriegsbesetzten Deutschland von einem schwarzen, amerikanischen Soldaten schwanger wurde.

Vermutlich gibt es nur wenige Orte in der Welt, wo die Gene so fröhlich durcheinander geschüttelt werden.
Die Kinder feiern islamische und christliche (katholisch, orthodox oder auch koptisch zur freien Auswahl) Feiertage, essen asiatisch, ägyptisch, europäisch und afrikanisch, kriegen in der Schule das eine Wertesystem eingehämmert, zu Hause ein anderes und auf der Straße gilt sowieso das Kindergesetz.

Wie nun werden diese Kinder in dem wilden kulturellen Mix umgehen, wenn sie erwachsen sind? Werden sie eines Tages die Brückenbauer zwischen verfeindeten Kulturen sein? Ich hoffe es.
Tatsache ist, dass man in Dahab immer hineinpasst, wenn man sonst nirgends hin passt. Einer der Gründe, warum es sich hier so gut leben lässt.



Sonntag, 17. April 2011
Frauenprojekte
Zu allen Zeiten waren und sind es Frauen, die eine Gemeinschaft zusammen und lebendig halten. In Dahab finden wir zwei schöne Beispiele dafür.
Da gibt es zuerst den Kinderzirkus Bonboni, der von einer Gruppe hier verheirateter schweizer Frauen ins Leben gerufen wurde. Das Herz des Zirkus ist Regular, eine Tänzerin und Akrobatin, die ihre kreative Ader in dieser wunderbaren Gemeinschaftsproduktion ausleben kann. Kinder aus allen in Dahab vertretenen Nationen lernen für den Zirkus jonglieren, Feuer zu schwingen, auf einem Seil zu gehen und Räder zu schlagen. Monatelang wird dafür geprobt. Die Betreuerinnen arbeiten ehrenamtlich, wie auch alle anderen Mitarbeiter, die helfen, den Zirkus Wirklichkeit werden zu lassen. Aus Förderungen, Spenden und Einnahmen konnten Dinge wie Scheinwerfer oder Mischpult gekauft werden. Bühnenbild und Kostüme werden von den Kindern und unzähligen helfenden Händen selbst gemacht. Viele, viele Menschen tragen dazu bei, dass dieses aufwendige Projekt Jahr für Jahr stattfinden kann und es erfreut sich großer Beliebtheit. In Dahab gibt es kein Kino, kein Theater, hin und wieder spielt eine Liveband in einer Bar und eröffnet jemand eine kleine Ausstellung, aber das war es dann auch schon mit dem kulturellen Leben. Die drei Zirkusvorstellungen, die immer Ende April stattfinden, sind daher ein wichtiges gesellschaftliches Ereignis, bei dem man jedem und alle treffen kann, man einen wunderbar bunten Abend oder Nachmittag erlebt und von den Leistungen der Kinder beeindrucken ist. Mehr Informationen kann man hier finden:
http://www.circ-bonboni.com/

Ein sehr neues Projekt ist der Gemeinschaftsmarkt, der jeden Freitag am Strand bei Eel Garden stattfindet. Die Gruppe Women 4 Dahab hat ihn erst vor einem Monat ins Leben gerufen und er ist bereits ein großer Erfolg. Dort werden selbst gemachtes Brot und Kuchen verkauft, man verkauft überzählige Besitztümer oder handgemachten Schmuck und ein Beduine nutzt die Gelegenheit, um Wüstenkräuter zu verkaufen. Man kann tratschen, flanieren, Hunde und Kinder flitzen herum und amüsieren sich prächtig, während die Erwachsenen plaudern, Leckereien kaufen und Bücher spenden, die für zukünftige öffentliche Bibliothek gesammelt werden. In Dahab gibt es keinen öffentlichen Raum, wo man sich einfach mal zufällig treffen kann. Ägyptische Männer haben ihre Öffentlichkeit in den Kaffeehäusern, aber sonst bleiben die Menschen in ihren Freundes- und Arbeitskreisen verhaftet. Der Markt schafft hier Abhilfe. Nationalitäten aus allen Kontinenten vermischen sich hier ebenso wie Touristen mit Leute, die hier leben, Taucher treffen Surfer und man findet Leute wieder, die man vielleicht seit Jahren nicht mehr gesehen hat.
Auf Facebook zu finden unter: Dahab Community Market

Diese beiden von Frauen initiierten und am Leben gehaltenen Projekt sind eine echte Bereicherung für Dahab und wir wollen hoffen, dass es sie noch lange gibt.



Sonntag, 3. April 2011
Moden und andere Seltsamkeiten
In Dahab wohnen viele seltsame Menschen und man sieht viele seltsame Sachen. In den letzten Tagen war es Bekleidung, die mir auffiel.
Am Morgen gehe ich wie immer am Strand spazieren und sehe dort auf der Promenade einen Radfahrer. Allerdings trägt er keine Kleidung, sondern einen Tauchanzug. Ein Froschmann auf dem Fahrrad ist selbst in Dahab ein ungewöhnlicher Anblick.
Am frühen Nachmittag spaziere ich zur Bäckerei, um Brot zu kaufen. Da kommt mir ein schlankes Mädchen in Weiß entgegen. Sie trägt ein Sommerkleid, das ihr bis zu den Knöchel reicht, ihre Schultern jedoch frei lässt. Um den Kopf hat sie nach Art der arabischen Frauen einen Schal geschlungen, der aber mehr als die Hälfte ihres schönen schwarzen Haares freigibt. Da die Sonne hinter ihr seht, ist jede Kontur der langen Storchenbeine durch den weißen Stoff zu sehen. Ich bin verwirrt. Das weiße, vor allem im oberen Teil freizügige Kleid schlägt sich mit dem verhülltem Kopf. Was waren wohl ihre Beweggründe, sich so zu kleiden? Ägyptische Männer hatten vermutlich ihre helle Freude an dem Aufzug, vor allem an dem durchscheinenden Kleid und dem mehr enthülltem als verhülltem Haar.
Das russische Mädchen, das etwas später an mir vorbei spaziert, hat entweder einen sehr verwirrten Geschmack oder sie glaubte, einen neuen Modestil zu kreieren. Die Augen sind hinter einer großen Marlene Dietrich Sonnenbrille verborgen, die blonden Haare sind lose hoch gebunden und der Wind zerrt an den Strähnen. Sie trägt ein enges, kurzes T-Shirt, das jede ihrer Kurven großzügig preisgibt, die Hotpants aus Jeansstoff vollenden den sexy Auftritt. Bis hierher wäre es ein normales russisches Outfit, das man oft in Dahab sieht, doch die Dekoration der Füße macht alles zunichte. Sie trägt eine Mischung aus Holzpantoffel und Stöckelschuhe in grellem Pink und nach ägyptischer Vorliebe mit glitzernden Steinen verziert. Darüber ringeln sich dann gestrickte Legwarmers in allen möglichen Farben. Die Kombination ist zu spezifisch als dass man sich denken könnte, es wäre der Trägern egal gewesen, was sie an diesem Tag trägt. Ihre Haltung und ihr Gang zeigen, dass sie sich modisch und eindrucksvoll vorkommt. Ich muss bei ihrem Anblick eher an ein Puzzle denken, bei dem man mit Gewalt Teile dort hinein drückt, wo sie einem gefallen, aber eigentlich nicht passen. Welchen Sinn machen wollene Legwarmers und unbequeme Schuhe in einem Wüstendorf?
Erwähnenswert auch noch ein Kunde in der Bäckerei, der nicht nur nach arabischer Vorstellungen in seiner Unterwäsche herum läuft. Der junge Mann trägt ein ausgewaschenes blaues T-Shirt ohne Muster oder Verzierungen und dazu eine Boxer Short. Die Shorts haben dünne rote und weiße Längsstreifen, sind weder sexy noch offenbaren sie etwas peinliches, sie haben nur den Charme banaler Unterwäsche und werden der Bequemlichkeit wegen getragen. Urlaubskleidung befreit offensichtlich von Konventionen und ich vermute, der Mann würde in seiner Heimatstadt niemals derartig gekleidet in eine Bäckerei gehen.
Und dann noch ein Anblick, der die latenten Frühlingsgefühle in Wallungen bringt.
Ich sitze mit einer Freundin beim Frühstück und wir können auf die Promenade und auf das Meer hinaus sehen. In der Mitte einer Geschichte, die ich gerade erzähle, höre ich auf zu sprechen, weil mir der Mund offen steht.
Auf der Promenade wandelt ein halbnackter Jüngling. Er trägt eine lange, gestreifte Baumwollhose nach Hippiemanier, keine Schuhe und kein Hemd. Seine blonden Haare stehen wirr nach allen Seiten und sein unsicherer Schritt und die ratlosen Augen zeigen, dass er soeben dem Bett entschlüpft ist. Der nackte Oberkörper ist das Wonnebild eines muskulösen jungen Mannes, die schneeweiße Haut zeigt, dass er gerade aus Europa gekommen sein muss und die Irritation in seinem Gesicht, dass er keine Ahnung hat, wo er sich befindet. Er geht in die eine Richtung und dann in die andere, so als suche er etwas. Ich verspüre den Wunsch, ihn an der Hand zu nehmen und ihn just in das Bett zurückzuführen, aus dem er gerade gekommen ist. Solche Dinge bekommt frau in Dahab zum Frühstück serviert. Quevita!



Freitag, 25. März 2011
Der Fahrradständer
Während Ägypten um eine Neudefinition seiner selbst kämpft, gibt es kleine Anzeichen, dass die Revolution vom 11.2. Veränderungen gebracht hat.
Vor einem halben Jahr entschlossen sich die Betreiber des indischen Lokals Nirvana einen Fahrradständer aufzustellen. Das sehr beliebte Lokal liegt am Strand und unzählige Fahrräder verstellten den Zugang, sodass der Fahrradständer eine vernünftige Lösung war. Nach einigen Wochen jedoch musste er auf Anweisung des Bürgermeisters wieder entfernt werden. Es wurde nicht erlaubt, diesen Gegenstand auf öffentlichem Grund aufzustellen. Dass die Promenade, die am Strand entlang führt, an dieser Stelle sehr breit ist, der Fahrradständer also keine Behinderung des Fußverkehrs darstellte, ja sogar Ordnung in das Chaos der abgestellten Fahrräder brachte, war kein Argument, eine Genehmigung für den Fahrradständer zu erteilen.
Dann, fünf Tage nach der Revolution, war der Ständer wieder da und ist es bis jetzt geblieben. Die lokalen Machthaber haben vermutlich jetzt andere Sorgen als sich um die Entfernung eines Fahrradständer zu kümmern.
Auch in diesem Sinnen sind wir der Revolution zu Dank verpflichtet.



Mittwoch, 23. März 2011
Beim Friseur
Dieser Beitrag ist natürlich meiner Mutter gewidmet, die ihr Leben lang mit sehr viel Freude als Friseurin gearbeitet hat.
Der dunkle Nachwuchs veranlasst mich, meine russische Friseurin aufzusuchen. Sie wohnt im Lighthouse Camp und ihr "Salon" besteht aus einem Sessel, einem großen Spiegel und einer breiten Holzablage, die an die Wand genagelt ist. Der Rest ihres Zimmers wird von zwei Betten, einem Kasten und einem kleinen Kühlschrank eingenommen, auf dem eine Art Miniküche installiert ist. Hier lebt und arbeitet meine Friseurin, die daneben leidenschaftliche Surferin ist.
Der Sessel ist recht hart, um darauf eine Stunde bequem zu verbringen, aber Ira ist eine so gute Friseurin, dass ich das gerne in Kauf nehme. Ich habe mir die Haare zu Hause gewaschen und Ira trocknet sie noch ein wenig mit dem Föhn. Dann streicht sie fachgerecht mein Haar mit weißer Creme ein, auf das es eine blonde Farbe annehme. Sie ist ernst und konzentriert bei der Sache und meine Mutter hätte ihre Freude mit so einer Mitarbeiterin gehabt.
Nach 20 Minuten Einwirkungszeit, führt Ira mich durch das Camp in einen kleinen Hof, der als Werkstatt für die Surfstation benutzt wird. Dort gibt es auch ein Waschbecken. Ich bekomme Shampoo und Handtuch und muss mir die dicke Creme selbst heraus waschen. Bei dem starken Wind, der zur Zeit durch Dahab fegt, keine leichte Aufgabe. Glücklicherweise ist es in einem Wüstenklima egal, wie nass man wird, und das Wasser ist halbwegs warm. Nachdem ich von oben bis unten nass gespritzt bin, wandere ich mit einem Handtuchturban wieder durch das Camp zurück in Iras Zimmer, um mein Finish zu bekommen. Die von Sonne und Meerwasser kaputten Spitzen werden abgeschnitten und das Haar dann noch ein wenig getrocknet. Mein etwas zu blond geratenes Ich guckt mich vergnügt aus dem Spiegel an. Meine Haare wollen nie so wie die Friseurin es will, doch das Grau ist weg und der Haarschnitt flott. Für umgerechnet 18 Euro bin ich mit dem Ergebnis sehr zufrieden und entzückt, dass selbst ein Friseurbesuch hier ein kleines Abenteuer ist.



Sonntag, 20. März 2011
Bellen
Heute morgen ging ich mit zwei Hunden spazieren, zusätzlich zu meinem eigenen hatte ich auch noch den einer Freundin zum Ausführen. Es ist noch früh, die Stadt schläft noch, es sind nur wenige Autos unterwegs. Auf der Hauptstraße überholt mich ein Traktor und der Fahrer bellt mich an. Wirklich, er imitiert mehrfach das Bellen eines Hundes in meine Richtung.
Nun habe ich schon erlebt, dass Kinder auf diese Weise auf Hunde reagieren. Als könnten sie in Hundesprache dem Hund sagen, dass sie keine Angst vor ihm haben, wie wohl sie natürlich sehr viel Angst vor dem großen Tier haben. Bei dem Traktorfahrer habe ich jedoch das starke Gefühl, dass er mich anbellt und er auf diese Weise versucht, meine Aufmerksamkeit zu erregen.
Ich bin irritiert und muss über den Mann lachen. Welcher Erwachsener stellt sich schon auf diese Weise bloß, überlege ich. Ich lache natürlich nur innerlich, äußerlich ignoriere ich den Traktorfahrer und sein seltsames Verhalten natürlich.
In all den Jahren habe ich gelernt, dass dies die beste Möglichkeit ist, mit der ständigen Aufmerksamkeit von Männern im öffentlichen Raum umzugehen. Die anzüglichen Bemerkungen, Pfeifen, Zischen, Schnalzlaute und seltsame Verhaltensweisen wie in diesem Fall Bellen zielen darauf ab, die Aufmerksamkeit des weiblichen Wesens zu gewinnen, und sei es nur ein verächtlicher Blick oder eine aggressive Wortmeldung. Sie wollen eine Reaktion, egal welche, und diese nicht zu geben ist meine Verteidigungshaltung. Das ständige Angemacht werden ist eines der Dinge, die mich hier sehr nerven.
Und dann fällt mir ein, was mir eine Freundin erzählt hat, die von Kairo nach Istanbul gezogen ist. Die türkischen Männer haben in den letzten 10-15 Jahren gelernt, dass es kein angemessenes Verhalten ist, Frauen auf diese Art zu belästigen. Geht frau durch Istanbul, ist es fast so wie in europäischen Städten. Keine anzüglichen Blicke, keine halblauten Kommentare. Ich fand das sehr angenehm, doch meine Freundin sagte, so sehr sie in Kairo auch davon genervt war, plötzlich fehlte ihr in Istanbul etwas. Als sei sie nicht mehr existent, wenn sie durch die Straßen gehe. Die Blicke und Anzüglichkeiten sind unangemessen, doch zeigen sie auch, dass wir da sind, existieren, ja sogar in gewisser Form begehrenswert. In Europa bin ich mit 42 Jahren und einem wenig verführerischem Äußeren schon lange kein Sexualobjekt mehr, vermutlich müsste ich dankbar sein, dass ich in Ägypten noch als anziehend gelte. Ich bin es nicht. Ich ziehe es vor, unsichtbar zu sein und nicht angebellt zu werden. Ich möchte kein Objekt für sexuelle Phantasien sein, sondern ein Subjekt, das respektiert wird. Ob die Ägypter jetzt nach der Revolution dem türkischen Beispiel folgen? Ich wünsche es mir.



Freitag, 25. Februar 2011
Veränderungswünsche
Wir wünschen uns ja alle, dass sich die Zustände in Ägypten für die Bevölkerung bessern.
Ich habe auch ganz private Wünsche.
Vor ein paar Tagen ging ich mit meinem Hund am Strand spazieren. Wunderbar leer und friedlich. Am Rückweg steht ein vielleicht 12jähriger Junge am Strand und winkt mir zu. Ich lächle freundlich zurück. Er greift sich an den Schritt und fängt an sich zu reiben. Es ist acht Uhr morgens und die Hormone treiben ihn schon rum. Als ich näher komme, verschwindet er in einem kleinen Weg, er hat den Ärger in meinem Gesicht schon gesehen. Doch kaum bin ich vorbei, kommt er wieder hervor und zischt mir nach, wie es hier üblich ist, um sexuelles Interesse zu bekunden. Ich tue ihm nicht den Gefallen und schenke ihm mehr Aufmerksamkeit, sondern gehe weiter und ignoriere ihn. Insgeheim wünsche ich mir für einen Moment, mein Hund wäre so erzogen, dass ich ihm befehlen könnte, auf den Jungen los zu springen und ihn heftig an zu bellen. Das würde ihm wenigstens einen gehörigen Schrecken einjagen.

Eines der Dinge, die mich an Ägypten sehr abstoßen, ist die Art, wie ich auf der Straße von vielen Männern behandelt werde. Ich bin für sie nichts weiter als ein Stück Fleisch, das ihren sexuellen Begierden dienen könnte. Das hat nichts damit zu tun, dass ich Ausländerin bin oder mich aufreizend kleide, die ägyptischen Mädchen und Frauen werden genauso behandelt. Den Jungen hat es nicht gekümmert, dass ich mindestens 4x so alt bin wie er, ich bin Frau, das reicht ihm.

Ich verstehe natürlich, dass sexuelle Frustration die Männer zu diesem Verhalten verleitet. Die ägyptische Gesellschaft erlaubt nur minimale Beziehungen zum anderen Geschlecht und sexuelle überhaupt nur in ehelicher Form. Junge Männer können oft erst mit 30 Jahren heiraten, weil sie es sich vorher nicht leisten können, einen Familie zu erhalten. Trotzdem bin ich genervt von diesem Verhalten.
Mit großer Freude kopiere und verteile ich daher einen Flyer, den eine Freundin aus Kairo mitgebracht hat. Dort werden Ratschläge für besseres Verhalten im NEUEN Ägypten aufgelistet, wie "Bezahle keine Schmiergelder", "wirf den Müll nicht einfach auf die Straße" und eben auch: "Belästige keine Frauen auf der Straße".
Ich hoffe für mich und für alle Frauen in diesem Land, dass diese Ratschläge beherzigt werden und ein Wertewandel einsetzt.



Mittwoch, 16. Februar 2011
Die Angst vor dem Neuen
Von mehreren Seiten höre ich nun, dass die Beduinen in Dahab sehr beunruhigt über den Abgang Mubaraks sind. Was kommt nun, fragen sie ängstlich. Vergessen sind all ungerechtfertigten Verhaftungen und Unterdrückungsmaßnahmen. Zuerst haben die Engländer das Land besetzt und dann die Israelis. Die Israelis brachten wenigstens Arbeit und Entwicklung ins Land, ließen die Beduinen aber weitgehend so leben wie sie wollten und versuchten, sich mit den Ältesten abzusprechen. Die große Beliebtheit der Israelis bei den Beduinen erweckte die Ängste der Ägypter, als die schließlich Anfang der 80er Jahre das Land übernahmen. Seitdem kennen die Beduinen nur Mubarak und sein System. Wieder haben sie das Gefühl, dass ihr Schicksal woanders entschieden wird. Sie hatten nie Einfluss darauf, was in Kairo entschieden wird und eine mögliche Änderung des System löste massive Verunsicherung aus. Sie glauben nicht, dass es sich zu einem besseren wenden können. Unter Demokratie und Selbstbestimmung können sie sich vermutlich nicht viel vorstellen. Es ist ihnen nicht klar, wofür all diese Menschen am Tahrir Platz gekämpft haben, sie wissen nur: Veränderung kann nur Schlechtes für sie bedeuten. Hoffen wir, dass sie damit falsch liegen.



Samstag, 12. Februar 2011
11022011
Was für ein unglaubliches Datum, in jeder Hinsicht!
Es ist tatsächlich geschehen, Mubarak hat aufgegeben, und kaum ist dieses Ziel erreicht, beginnen die Sorgen und Ängste. Was kommt jetzt?
In Dahab blieb es nach der umwerfenden Nachricht erstaunlich ruhig. Während ganz Ägypten feiert, sind die Leute hier sehr zurückhaltend, man merkt kaum etwas auf der Straße. Das mag daran liegen, dass so viele Leute weggegangen sind, so viele Ausländer hier leben, die sich nicht weiter für Politik interessieren oder Dahab erstaunlich Mubarakfreundlich ist. Die Beduinen haben Angst, dass jede Veränderung eine Veränderung zum Schlechten bringt. Lieber mit einem Unterdrücker leben, denn man kennt, scheint ihre Devise zu sein. So schlimm war Mubarak doch gar nicht, heißt es plötzlich. Die vielen unrechtmäßig ins Gefängnis geworfenen und gefolterten Menschen, darunter auch viele Beduinen, sind schon vergessen.
Ich persönlich hoffe, dass sich die Dinge für die Ägypter zu einem Besseren ändern, dass sie irgendwann in einer Demokratie leben dürfen und ihr Schicksal selbst bestimmen können. Ich hätte nie gedacht, dass Mubarak so schnell aufgibt, ich rechnete damit, dass die Demonstrationen noch wochen- oder monatelang weitergehen müssen, bevor sich der Alte dem Willen des Volkes beugt. Doch die unglaubliche Solidarität des ägyptischen Volkes, gespeist von einer tiefen Verzweiflung, ist bewundernswert. Endlich können sie auf etwas stolz sein, das benötigt diese Nation dringend.



Freitag, 11. Februar 2011
Aufstand in Ägypten: 11.2.2011
Morgenspaziergang, es ist so still wie schon vor 10 Tagen, doch diesmal verspüre ich nur heitere Freude. Wieder einmal ein wunderbares Beispiel dafür, wie der Geist Realität produziert.
Tatsächlich hat sich doch nichts verändert, Mubarak ist immer noch an der Macht, das Demonstrieren geht weiter, immer noch kann alles ins Radikale und Schlimme umschlagen. Trotzdem fühlt sich der Aufstand in Kairo so weit weg an.
In Dahab geht alles wie gehabt weiter. Lebensmittellieferungen kommen rein, die Banken geben Geld aus, die Sonne scheint für die Sonnenbader. Natürlich bleiben jetzt Touristen aus und immer weniger Leute haben Arbeit, aber üblicherweise ist der Februar ein ruhiger Monat. Wir sagen halt, dass wir jetzt Urlaub hier machen. Wir Ausländer können das leicht sagen, aber für die Ägypter könnten die nächsten Monate ohne Arbeit schlimm werden.

Bezeichnend:
"22.41: Suleimans Rede ist beendet
Keine Neuigkeiten dabei."
Wer es sich wohlig in seinem Nest eingerichtet hat und fett geworden ist, verlässt dieses nur unter massiven Druck.

Und äußerst unterhaltsam, wie das staatliche ägyptische Fernsehen abwechselnd US-amerikanische, iranische und israelische Spione für den Aufstand verantwortlich macht. Eine globale Weltverschwörung gegen Mubarak. Glaubt das eigentlich irgendwer?
Das ist genauso amüsant wie die im Fernsehen ausgestrahlte Behauptung eines hohen Politikers des Sinais, der Hai, der in Sharm el Sheik Leute gebissen hat, sei von dem israelischen Geheimdienst dazu ausgebildet worden, um den Tourismus in Ägypten kaputt zu machen. Dazu braucht es die Israelis nicht, dass machen die ägyptischen Politiker selbst sehr gut.