Dienstag, 8. Februar 2011
Aufstand in Ägypten: 7.2.2011
Die Demonstrationen in Kairo gehen in geringerem Maße weiter, doch für uns hier ist es unwirklich geworden. Alles ist wieder normal, soweit man in Dahab von Normalität sprechen kann. Es verblüfft mich, dass hier, wo man sich sonst standhaft weigert, zu viel über ernste Themen zu sprechen, nun plötzlich jeder politisiert ist und eine Meinung zu Mubarak hat. Meiner Ansicht nach sind die eher wohlhabenden für ihn – vielleicht nur bis zu den Neuwahlen - und die Armen gegen ihn. Auf jeden Fall haben die Herrschenden begriffen, dass sie sich nicht weiter auf Kosten der großen Masse bereichern können und hoffentlich halten sie den Druck lang genug aufrecht, damit es zu Veränderungen zu ihren Gunsten kommt.
Ich schließe mich der vorherrschenden Meinung an, dass die Muslimbrüder keine allzu große politische Rolle spielen. Ägypten ist natürlich in den letzten 20 Jahren konservativer und religiöser geworden, aber das ist in allen arabischen Ländern passiert, ausgehend von Saudi Arabien. Petrol-Islam nennt es einer meiner ägyptischen Freunde. Doch die Ägypter sind nicht fundamentalistisch und viel zu viele von ihnen leben vom Tourismus und Handel mit dem Ausland, als dass sie sich eine streng islamische Führung wünschen würden. Kein Mensch bezeichnet es hier als islamische Revolution. Es war ganz klar eine Jugend, die sich eine bessere Zukunft wünscht und die soll vor allem Demokratie und Freiheit beinhalten.



Wasser III
Wir erleben ein paar schöne, heiße Tage, an denen das Thermometer mittags auf die 30° klettert. Es ist so warm, dass mein Hund, dem Wasser sonst abgeneigt, freiwillig ins Meer geht, um sich abzukühlen. Mit einem neuen Anzug vor der Kälte geschützt gehe ich mehrmals schwimmen, erfreue mich an den bunten Fischen, die so unbeteiligt von Leid und Freud ihre Futter- und Partnersuche nachgehen. Die Freiheit im Wasser, mit kräftigen Zügen durch die Wellen ziehen, dann abtauchen und sich leicht und zu Hause fühlen, hat mich diesen Platz zum Leben wählen lassen. Das Meer ist nie selbstverständlich geworden, in all den Jahren nicht, und sollte ich einmal nicht mehr am Meer leben können, dann werde ich mich immer danach sehnen.



Samstag, 5. Februar 2011
Medien und Angst
5.2.2010
In Dahab war gestern die Polizei wieder sichtbar. Polizeiwagen sind auf der Straße und auf der Promenade wandern einige gemächlich auf und ab. Heißt das, dass die Staatsmacht wieder ans Ruder gelangt ist? In Dahab erscheint alles unverändert. Die Männer sind vielleicht ein wenig nervöser, aber sonst ist nicht viel zu bemerken.
Was Leute sagen und erzählen, ist immer eine Meinung und das betrifft auch die Medien. Unser Psyche jedoch verarbeitet es als Fakten, und wenn diese Information eine Urangst in uns trifft, dann reagieren wir mit Panik und Fluchtgedanken, und denken nicht daran, die uns gegeben Information auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Vermutlich hat das mit unserem Steinzeitinstinkt zu tun, wo überlegen und nachprüfen zu viel Zeit und folglich das Leben gekostet hätte. Wenn einer meiner Sippe gelaufen kommt und schreit: „die Nachbarsippe greift uns an“, da gehe ich nicht hin und überprüfe, ob das stimmt, was er sagt, sondern laufe weg. Dieser Mechanismus funktioniert immer noch einwandfrei, der moderne Mensch hat allerdings das Problem mit zu viel Information gefüttert zu werden und in den meisten Fällen gar keine Möglichkeit, diese auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Wir müssen darauf vertrauen, dass Autoritäten und Medien uns die Wahrheit sagen.
Was sie in den seltensten Fällen tun. Die modernen Medien erscheinen wie ein äußerst negativer Mensch. Wir alle haben jemanden in unserem Freundes- und Bekanntenkreis, der immer nur klagt, alles schwarz malt und sich sensationsgeil auf jedes negative Ereignis stürzt und genüsslich die Einzelheiten breitwälzt. Das ist der hervorstechendsten Charakterzug unserer Medien. Der Mensch in der sogenannten westlichen Welt befindet sich kaum mehr in tatsächlicher Lebensgefahr, d.h. ihm fehlt das Adrenalin einer gefährlichen Situation, die das Leben so lebenswert machen kann. Die Medien geben ihm nun diesen Kitzel, ohne das er etwas für sein eigenes Leben befürchten muss.
Es ist schon auffällt, dass unsere Freunde und Verwandten in Europa sehr viel panischer reagieren, als die Leute hier, die in der tatsächlichen Situation sein. Jeder von uns hat Anrufe von besorgten oder sogar hysterischen Eltern, die zum sofortigen Verlassen des Landes auffordern. Die Leute „draußen“ haben nur das Bild, das ihnen die Medien vermittelt und sie sehen nur Gewalt, brennende Autos, weinende Menschen. Wir hier haben andere Informationsquellen und können etwas gelassener sein, vor allem wenn unser Alltag weitgehend bestehen bleibt. Ich nehme so kleine Zeichen wie die immer noch täglich vorbeikommende Müllabfuhr und die staatliche Wasserlieferung, die heute pünktlich wie immer gekommen ist, als Hinweis darauf, dass die Situation in Ägypten nicht so kritisch ist, dass ich um mein Leben fürchten muss. Aber ich bin sicher, dass meine Eltern den schlimmen Neuigkeiten der Nachrichten mehr Glauben schenken als meinen Versicherungen, dass so weit alles in Ordnung ist.
Als ich Journalismus studierte, lernte ich die alte Regel: Only bad news are good news. Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten (für den Journalisten!). Der Journalist findet also nur Katastrophen, Krisen, Leid, Drama und ähnliches berichtenswert. Natürlich muss von den schlimmen Dingen dieser Welt berichtet werden, denn sonst wäre z. B. der Vietnamkrieg nie beendet worden. Doch ich wünsche mir eine neue Regel: auf vier schlechte Nachrichten muss eine gute folgen. Es geschehen täglich und überall wunderbare Dinge, Menschen werden wie durch ein Wunder gerettet, Unglück wird abgewendet, etwas Neues und Faszinierendes wurde entdeckt, es gibt auch genug davon zu berichten. Für die Psychohygiene des modernen Medienkonsumenten würde ich mir diese neue Regel bei der Ausbildung von Journalisten wünschen.
Bei all den schlimmen Nachrichten aus Kairo bin ich entzückt über die kleinen, humorvollen Scherze und Comics zur Krise, die einen zum Lachen bringen und somit die Anspannung etwas von uns nehmen. Hier ein wunderschönes Beispiel:
notwendiger Humor



Freitag, 4. Februar 2011
Aufstand in Ägypten: 4.2.2011
Freitag! Die Gerüchteküche besagt, dass es heute wieder zu großen Demonstrationen kommen wird. Ist es wirklich erst eine Woche her, dass es zu der ersten Massendemonstration gekommen ist?
Ich telefoniere mit einer Freundin, die Fotojournalistin ist und immer noch in Kairo. Ich erwische sie am Flughafen, sie verlässt das Land. Die Journalistenhetze, die gestern in Kairo stattgefunden hat, lässt Übles befürchten. Es könnte sein, dass sie nun versuchen, den Zorn der Menschen auf Ausländer zu lenken, es könnte aber auch sein, dass heute mit massiver Gewalt zurückgeschlagen wird und sie so wenig ausländische Zeugen wie möglich haben wollen. Beide Gedanken verursachen mir Enge in der Brust.
„Bleibe am besten zu Hause,“ rät meine Freundin, dabei habe ich gerade mit Freunden ausgemacht, mich um die Mittagszeit mit ihnen am Strand zu treffen. Es ist interessant, wie man von seiner eigenen Situation automatisch auf die Situation von anderen schließt. Sie hat nun zehn Tagen in Anspannung und Angst verbracht, während mich nur Nachrichten von ihr und vom Fernsehen aufwühlen, aber keinerlei persönliche Erfahrung. Ich werde später am Strand liegen, vielleicht sogar schwimmen gehen, und über die Festivitäten zum chinesischen Neujahr mit einer Freundin aus Singapur plaudern, während in Kairo – ein paar hundert Kilometer entfernt – Revolution gemacht wird und Menschen Gewalt angetan wird. Wir sagen immer, Dahab ist ein Platz, wo sich vor allem verrückte Leute wohlfühlen, die in sonst kein Schema passen, aber allmählich bekomme ich das Gefühl, dass Dahab normal ist und der Rest der Welt verrückt.
Sehr beruhigend war gestern ein Gespräch mit dem deutschen Bäcker in Dahab. Er ist mit einer Österreicherin verheiratet und erzählte mir, sie und ich seien die einzigen Österreicherinnen hier. Die Botschaft hätte sie angerufen und ihr versichert, im äußersten Notfall würden sie uns einen Hubschrauber schicken und uns hier rausfliegen. Auch wenn das sehr nach Action-Film klingt, ist es doch das Bild, das ich in meinem Kopf hatte. Wieder einmal bin ich sehr dankbar für meinen österreichischen Pass. Ich werde also bleiben, solange ich was zu tun und zu essen habe.
Wieder einmal heißt es warten. Was wird heute passieren? Wie viele Menschen müssen heute leiden und sterben, nur weil einige fette Bonzen glauben ein Recht auf ihre Privilegien zu haben? Wie immer ist es diese Ungerechtigkeit, die mich zur Verzweiflung treibt. Und da sitze ich nun, in meinem wunderschönen Garten und frühstücke mit meiner Freundin. Es ist ein sehr warmer Tag mit leichter Südwind und ein paar vereinzelten Wolken. Ein perfekter Tag für den Strand. Und da gehen wir nun auch hin und vergessen für ein paar Stunden die Revolution.



Donnerstag, 3. Februar 2011
Aufstand in Ägypten: 3.2.2011
Wer dieses Regime kennt, hätte sich gewundert, wenn der Aufstand gewaltlos über die Bühne gegangen wäre. Mubarak schickte gestern seine Schlägertruppen und Polizei auf den Tahrir Platz, um die dort immer noch demonstrierenden Leute für ihre Anmaßung, demokratische Reformen zu fordern zu bestrafen. Es tut mir in der Seele weh an all die Menschen zu denken, die dort verletzt und vielleicht getötet werden, weil sie mehr Demokratie, Rechtssicherheit und bessere Verteilung des Reichtums fordern.
Aber die, die bisher vom System profitiert haben, leben jetzt in Angst und folgen nur zu willig der Aufforderung, zurück zu schlagen. Dieses Land funktioniert weitgehend nach diesem Motto: Hast du Geld und kennst die richtigen Leute, kannst du dir alles erlauben. Hast du das nicht, trampelt ein jeder, der mehr hat als du, auf dir rum. Die Mittelschicht ist in Ägypten praktisch nicht vorhanden und gibt es eine funktionierende Demokratie nur mit einer ausgeprägten Mittelschicht?
Natürlich ist dem Land nicht geholfen, wenn Mubarak einfach verschwindet. Das ganze System gehört geändert, die Polizei neu strukturiert und das Verdrehen der Gesetze muss unterbunden werden. Die Polizei hat seit 30 Jahren willkürlich gehandelt, da werden Wölfe nicht plötzlich Lämmer. Die müssen erst umlernen, dass ihre Aufgabe in erster Linie darin liegt, den Bürger zu beschützen und nicht ihn zu malträtieren, weil es ihnen gerade so einfällt. Sich an Recht und Gesetz zu halten haben die Menschen hier in den letzten 30 Jahren verlernt.
Meine Lösung wäre: Mubarak bleibt noch 4 weitere Monate an der Macht und bereitet Reformen vor. Als erstes muss die Notstandverordnung aufgehoben werden, auf Grund derer er sich so lange an der Macht halten konnte. Gestern sprach er davon, die Regierungszeit eines Präsidenten zeitlich beschränken zu wollen, was mich zu einem bitteren Lachen veranlasste. Zu so einer Äußerung kann er sich nur durch massiven Druck veranlasst sehen. Das Angebot im September abzutreten ist lächerlich und das wissen auch alle, dann das war sowieso sein Plan. Er wollte bei den Wahlen im September seinen Sohn als Nachfolger installieren und das Land weitere 30 Jahre in dem Zustand absoluter Abhängigkeit von seiner Familie und Partei halten. Das ist kein Zugeständnis und darum gehen die Demonstranten auch nicht heim.
Möge der Glaube den Menschen hier helfen, diese Krise durchzustehen und möge Mubarak eine Erleuchtung treffen und ihn menschlich handeln lassen.

Immer mehr Leute verlassen das Land, vor allem in Kairo. Ich telefoniere noch mit einer Freundin, die in Kairo am Flughafen sitzt und auf ihre Maschine nach Österreich wartet. Bis gestern, sagt sie, war das alles eine enthusiastische Revolution, aber jetzt wird es bitter. Mubarak hält sich in Sharm el Sheik versteckt, erzählt sie mir und das macht mich wütend. So ein Feigling, in Kairo könnten sie wahrscheinlich nicht mehr für seine Sicherheit garantieren und wenn er abhaut, dann ist es von dort aus sehr viel einfacher. Das zeigt aber auch, wie verunsichert er ist.
Lass mein Volk ziehen, sagte schon Moses zu dem Pharao und das selbe rufen wir jetzt Mubarak zu: Lass die Ägypter in eine neue Zukunft ziehen und lade nicht noch mehr Blutschuld auf dein Gewissen.



Mittwoch, 2. Februar 2011
Aufstand in Ägypten: 2.2.2011
Morgens teste ich wie jeden Tag, ob das Internet funktioniert. Nichts.
Ich mache mich wieder an die Arbeit und schreibe an meinem Yogamanuskript.
Doch ich habe von niemanden etwas gehört, weiß also nicht, was in der Nacht gelaufen ist. Ich fange an, herum zu telefonieren. Meine Mutter bringt endlich die Nachricht, dass alles friedlich verlaufen sei und Mubarak seinen Rücktritt in 8 Monaten angekündigt habe. Ich glaube nicht, dass das für die Demonstranten genug ist, doch es ist ein Schritt.
Dann die wunderbare Nachricht: Internet funktioniert wieder.
Sofort stürze ich mich auf Facebook und Mails. Endlich sind wir wieder mit der Außenwelt verbunden. Versichere alle über mein Wohlbefinden. Skype mit meinen Eltern, einer Freundin in Wien und einer in Thailand. Wie schön ist doch globale Kommunikation. Endlich alle Nachrichten abrufbar. Nun geht es aufwärts, hoffe ich. Zumindest entspannt die Freigabe des Internets die Lage. Nun können wir nur abwarten, was die nächsten Tage und Wochen bringen.



Aufstand in Ägypten: 1.2.2011
Am Morgen rufe ich eine Freundin an, die nach Kairo gegangen ist. Sie ist auf dem Weg zum Tahrir Platz, wo eine riesige Demonstration stattfinden soll.
"So viele Leute sind schon unterwegs," sagte sie, "ich kann es gar nicht glauben. Sehr aufwühlend, sehr emotional."
Ich gehe während des Tages meinen üblichen Aufgaben und Vergnügungen nach, aber innerlich fühle ich diese Aufregung. Überall in ganz Ägypten gibt es riesige Demonstrationen, alles könnte sich heute entscheiden.
Dahab ist ein Platz wie hinter dem Mond. Die Welt könnte untergehen, in Dahab läuft alles wie gehabt. Gäbe es nicht die Gerüchte und das gesperrte Internet würde man in Dahab überhaupt nicht mitbekommen, welche Umwälzungen im Land stattfinden.
Ich rede mit einer Schweizerin, die mit einem Ägypter verheiratet ist. Sie erzählt, heute morgen sei ihr Mann erstmals nervös geworden und hätte gesagt, sie sollte sich eventuell um einen Flug bemühen. Er habe Angst, die Aufständischen kämen von Süden nach Dahab und die Israelis würden von Norden her einmarschieren, weil sie keinen islamischen Staat in Ägypten erlauben würden. Dieses Szenario erscheint mir völlig absurd, aber für sie ist es eine ernsthafte Überlegung wert.
So beobachte ich, wie die Angst und die Unsicherheit mit jedem sein eigenes, grausames Spiel spielt.
Mehrere Leute sprechen davon, nach Europa zu fliegen, nur zur Sicherheit.
Ich treffe eine Freundin zum Mittagessen, die zufälligerweise in zwei Wochen einen Flug nach Deutschland gebucht hat, also ein Ticket hier raus hat. Ich merke, dass ich sie darum beneide. Ich überlege, ob ich meine Mutter anrufen soll, damit sie mir einen Flug bucht. Nur für 1-2 Wochen weg, bis sich die Situation beruhigt hat oder sich abzeichnet, wie es weitergeht.
Doch wieder stellt sich die Frage, was mit meinen Haustieren dann geschehen soll und ich habe ja auch noch andere Verpflichtungen.
Also versuche ich, mich nicht irre machen zu lassen. Abwarten, was nach der großen Demonstration raus kommt.



Aufstand in Ägypten: 31.1.2011
Ein normaler Tag, kann man das sagen? Gesprächsthema Nummer eins sind die Ereignisse in Kairo, aber für den heutigen Tag gibt es nicht viel zu berichten. Die Demonstrationen gehen weiter, abgeschwächt, aber trotzdem, und Mubarak bildet weiter die Regierung um, ohne dass das viel Effekt hat.
In Dahab höre ich, die Beduinen hätten die Wüste abgeriegelt, damit keine Probleme hier her getragen werden können. Das könnte erklären, warum so wenige Leute auf der Straße sind und das Dorf irgendwie verlassen wirkt, auch wenn die Kinder auf der Straße spielen und alles normal scheint. Bei einem großen Meeting der Ältesten sei beschlossen worden, hier keine Demonstrationen stattfinden zu lassen. Nach diesen Nachrichten fühle ich mich sehr viel sicherer.
Auch fällt mir ein, dass die Nähe zu Israel eigentlich eine Schutzfunktion für uns hat. Massive Probleme hier würden den Friedensvertrag von Camp David gefährden und das wollen die lokalen Autoritäten sicher nicht.
Die größte Gefahr, die uns droht, ist im Moment Mangel an Lebensmitteln und Benzin. Die Banken bleiben geschlossen und dem Staat geht das Geld aus. Ein Generalstreik soll ausgerufen werden und eigentlich ist ab drei Uhr Ausgangssperre, aber niemand weiß davon und keiner hält sich daran.
Der Tourismus kommt zum Erliegen und das blockierte Internet tut sein übriges, um die wirtschaftliche Situation zu zuspitzen. Mein Vater sagt, Mubarak lässt die Demonstrationen aus hungern und ich fürchte, er hat recht. Werden die Ägypter angesichts von Brot- und Benzinmangel kuschen oder erst recht auf die Barrikaden gehen und einen Bürgerkrieg vom Zaun brechen?



Aufstand in Ägypten: 30.1.2011
Ich wache auf und es ist gespenstisch still. Normalerweise liebe ich die Ruhe in Dahab, aber um diese Zeit sollte es nicht so still sein. Keine Autos fahren, nirgendwo eine Hupe und sonst hupt immer irgendwo wer. Keine Kinder auf der Straße, nichts. Ich gehe mit dem Hund spazieren, wie immer, doch zum ersten Mal stecke ich mein Handy ein. Nur für den Fall. Damit könnte ich auch Photos machen. Die Straßen sind ruhig, es sind nur wenige Leute zu sehen, die ihren normalen Tätigkeiten nachgehen. Trotzdem fühle ich Angst, zum ersten Mal richtige Angst. Ich bin froh, nach Hause zu kommen. Prüfe das Internet, immer noch nichts, d.h. die Situation hat sich nicht entspannt. Dann der Anruf einer Freundin aus Kairo. Es sei zu schweren Plünderungen gekommen, die Geheimpolizei wiegle Leute auf, die Polzei ist völlig aus der Stadt verschwunden und nichts mehr wird bewacht oder beschützt. Sie rät, nicht alleine zu Hause zu bleiben und Informationen über einen Fernseher zu bekommen. Ihr Anruf stürzt mich in Panik.
Ich habe nicht einmal eine Telefonnummer meiner Botschaft. Das ist meine erste Aufgabe. Rufe eine Österreicherin in Kairo an, die mir die Nummer besorgen kann. Sie war auf der Freitagsdemonstration und erzählt, überall hätten sich Bürgerwehren gebildet, um die Nachbarschaft vor Plünderungen zu beschützen.
Ich besuche eine deutsche Freundin, die in der Nachbarschaft wohnt und nehme meinen Hund mit. Fühle mich nicht mehr sicher. Wir tauschen Geschichten aus. Sie ist sehr nervös, weil sie einen kleinen Sohn hat und so viele Gerüchte herumschwirren.
Angeblich hätten Beduinen aus dem Nord-Sinai in der letzten Nacht versucht, in den Süden zu kommen, um hier zu plündern, die Süd-Beduinen hätten sie aber zurückgeschickt. In Sharm soll es gebrannt haben. Gut, dass ich das nicht letzte Nacht hörte, sonst hätte ich vor Angst nicht schlafen können. Wir beschließen, Geld von der Bank zu holen und einige Vorräte einzukaufen. Nur für den Fall. Die Geldautomaten geben noch Geld her, die Banken blieben heute geschlossen. Am Weg treffen wir eine Südafrikanerin, die zusammen mit ihrem ägyptischen Mann ein Hotel besitzt. Ihr Mann hat auch einen Schweizer Pass und gehört sicher zu den gut informieren Leuten. Sie beruhigt uns. Die Gerüchte seien nur Gerüchte, nichts davon ist wahr. In Sharm sei gar nichts passiert. Wir seien sicher, die Jackpoints sind alle gesperrt, niemand kann rein oder raus. Das beruhigt ein Stück.
In der Bucht sieht es aus wie immer. Die Touristen liegen am Strand und braten in der Sonne. Die Restaurants haben geöffnet. Aber ich sehe auch viele ernste Gesichter und von den Einheimischen hängt praktisch jeder am Telefon. Informationen, Informationen sind jetzt das wichtigstes, um die Situation einschätzen zu können.
Wieder zu Hause informiere ich meine Botschaft, dass ich im Land bin, damit ich dort registriert bin und die mich anrufen, sollten sie uns evakuieren. Eine Tasche mit dem notwendigsten habe ich gepackt, Geld und Pass liegen bereit, aber achje, was geschieht mit meinen Haustieren, wenn ich weg muss? Der Katze kann ich jede Menge Trockenfutter hinstellen, sodass sie Wochen überlebt. Über den Hund denke ich besser nicht nach, das muss ich dann spontan entscheiden.
Eine Privatschülerin erscheint tatsächlich zu ausgemachten Zeit, doch während des Unterrichts merke ich, wie oft meine panischen Gedanken abschweifen, Szenarien durchspielen oder Erinnerungen an Gespräche und Informationsfetzen abrufen. Es fällt mir schwer, mich zu konzentrieren. Nach der Arbeit ruft meine Mutter an und bitte mich, heimzukommen. Ich versichere ihr, dass es mir gut geht und die Botschaft informiert ist, sodass ich im Notfall von denen evakuiert werden könnte. Ich weiß, sie ist nicht beruhigt und macht sich Sorgen, aber es erscheint mir im Moment wirklich das sicherste, in Dahab zu bleiben.
Hier gibt es noch Militär und Polizei, es gab keine Demonstrationen oder sonstige Unruhen. Gehe ich nach Taba oder Sharm habe ich keine Ahnung, was dort weiter passiert. Soll ich Ägypten tatsächlich verlassen, frage ich mich immer wieder.
Dann telefoniere ich mit einen ägyptischen Freund, der in Downtown in der Nähe des Innenministeriums wohnt. Er versichert mir, es sei gar nicht so schlimm in der Stadt, wie es in den Medien dargestellt werde. Es gäbe nur wenige Plünderungen und auch um das Innenministerium herum sei es ruhig. Er habe selbst zwischen Zamalek und Downtown ohne Schwierigkeiten hin und her fahren können. Die Regierung betreibe gezielte Desinformation, um die Leute in Angst zu versetzen. Die Proteste selbst seien sehr zivilisiert und friedlich abgelaufen. Die Geheimpolizei versuche, Leute zu Plünderungen aufzuwiegeln, aber es sei zu keinen größeren Problemen gekommen.
„Transportiere dieses Bild hinaus,“ bittet er mich. Das werde ich tun. Bin wieder ein Stück ruhiger, da keine unmittelbare Gefahr zu bestehen scheint.
Es fällt mir auf, dass es halb drei Uhr nachmittags ist und ich den ganzen Tag noch nichts gegessen habe. Mir war einfach in der ganzen Aufregung nicht danach. Esse etwas gegen den ärgsten Hunger und überlege, ob ich auch Vorräte horten sollte. Um fünf habe ich endlich soviel gegessen, wie ich normalerweise zum Frühstück zu mir nehme. Die Aufregung schnürt mir die Kehle zu, aber ich werde ruhiger.
Niemand kann sagen, wie es weitergeht. Flieht Mubarak außer Landes, gibt es dann Chaos und Bürgerkrieg? Kann er sich an der Macht halten und mit harter Hand durchgreifen? Oder bleibt die Situation wochenlang im Ungewissen und kommt es dann zu Versorgungsengpässen? Ich bin gerne vorbereitet, also kaufe ich Kartoffeln, Reis und Nudeln, die sich im Fall der Fälle lange haltbar sind.
Der Fall der Fälle, welcher wird eintreten? Ich drücke dem ägyptischen Volk beide Daumen, damit sie endlich einen Zukunft für dieses Land aufbauen können.



Aufstand in Ägypten: 29.1.2011
Und dann findet der Aufstand doch statt. Auf der Straße höre ich die ersten Nachrichten, große Demonstrationen in allen Städten, erste Todesfälle. In Dahab gab es keine. Da das Internet in der Früh immer noch nicht funktioniert, nehme ich an, dass die Situation unverändert ist. Ich telefoniere mit Familie und Freunden in Österreich, um an Neuigkeiten zu kommen, und setzte mich zu einer Nachbarin, die AlJaziera empfangen kann. Tagsüber wirkt Kairo wieder ruhig, aber ich kann keinen meiner Freunde dort erreichen. Mubark bildet die Regierung um und es ist nur ein weitere hilfloser Versuch, Kontrolle über die Situation zu halten. Ich wünsche den Ägyptern Glück und hoffe, dass nicht alles im Chaos endet.
Ich bitte alle Freunde im Ausland, mich zu informieren, falls etwas geschieht. Am Abend bleibt das Telefon ruhig und so ich genieße die freie Zeit mit einem Buch.



Aufstand in Ägypten: 28.1.2010
Die angekündigte Revolution findet nicht statt. Zumindest noch nicht. Am Vormittag liegt gespannt Aufmerksamkeit in der Luft. Kurz vor dem Mittagsgebet sind auffallend wenig Menschen in Dahab unterwegs, vor der großen Moschee steht ein Polizeiwagen. Die ägyptische Regierung hat das Internet geschlossen und später höre ich, ebenso das Mobilfunknetz in Kairo und anderen großen Städten. Bei uns funktioniere die Telefone noch. Kairo ist hermetisch abgeriegelt, keine Information dringt nach außen. An angespannter Stille vergeht das Mittagsgebet. Aus den Lautsprechern der Moschee klingt es wie jeden Freitag, doch jeder wartet auf das Danach. Danach kommt nichts. Es ist gespenstisch still. Wenige Autos fahren und sie scheinen sehr viel weniger zu hupen als sonst. Jeder hat die Anweisung bekommen, zu Hause zu bleiben und offensichtlich richtet man sich danach. Meine Nachbarin hat Satellitenfernsehen und so sehen wir auf Aljazira, BBC und CCN, ob die etwas über Kairo berichten. Noch eine Stunde nach dem Ende dem Gebet scheint alles ruhig zu bleiben. Wenn es Demonstrationen und Aufstände gegeben hat, dann hören wir vermutlich erst in den nächsten Tag davon.



Mittwoch, 26. Januar 2011
Wasser II
Wasserversorgung in der Wüste ist so eine Sache. Ich verwende drei verschiedene Arten von Wasser. Zuerst einmal Trinkwasser, das in Plastikflasche verkauft wird und dann heim geschleppt werden muss. Dieses Wasser auch zum Kochen zu verwenden wäre zu aufwendig und langfristig auch teuer. Dazu benutze ich das sogenannte blaue-Tank-Wasser. Man stellt einen 50l Tank bei der Haustüre auf, hier haben die üblicherweise eine blaue Farbe, daher der Name. LKWs mit großen schwarzen Wassertanks, aber auch Beduinen mit Pickups fahren herum, hupen auffordernd und dann läuft man auf die Straße und lässt den blauen Tank auffüllen. Die Beduinen verkaufen Wasser aus St. Katharina, das auch doppelt so teuer ist als das Wasser vom LKW (etwas über einen 1 Euro). Viele Leute trinken dieses Wasser, aber da es Fälle von Hepatitis A gegeben hat, traue ich mich das nicht. Abgekocht ist es jedoch gut zu verwenden.
Und dann haben wir noch Spülwasser für Dusche, Klo und Abwasch. Ich habe noch Glück, weil wir sogenanntes Regierungswasser in unseren Tank im Garten geliefert bekommen, das nicht nur umsonst, sondern auch weitgehend entsalzt ist. Probleme gibt es hier nur im Sommer, wenn die Wasserversorgung nicht vollständig gewährleistet wird. Normalerweise füllt sich unser Tank einmal pro Woche, im Sommer kann es vorkommen, dass länger kein Wasser kommt und dann müssen wir es zukaufen.
Lange Geschichte, kurzer Sinn: Glückliches Österreich, wo hochwertiges Trinkwasser aus jeder Leitung rinnt und sich niemand Gedanken darüber machen muss. Hier in Ägypten ist das ein echter Arbeitsaufwand.



Dienstag, 25. Januar 2011
Wasser I
Zum fünften Mal in drei Jahren habe ich einen neuen Duschkopf gekauft. Für jemanden, der mit dem Stolz auf die österreichische Stahlindustrie und der Gewissheit, dass Badezimmeramateuren für die Ewigkeit von mindestens 20 Jahren angeschafft werden, eine immer noch seltsame Tätigkeit. Dafür hat der Duschkopf auch nur 4 Euro gekostet. Und was für eine Wonne zu duschen. Seit wir die neue Pumpe haben, tröpfelt das Wasser nicht nur, nein es fließt richtig. Durch den neuen Duschkopf gibt es einen regelmäßigen Strahl und brauche ich nicht mehr jedem Wassertropfen hinterher zu laufen.
Die Amateuren hier haben weniger das Problem der Verkalkung als der Versalzung und Versandung. Der alte Duschkopf war schon so verstopft, dass das Wasser überall hin spritze, nur nicht gerade herunter. Für ein paar Monate also ungetrübtes Duschvergnügen.
Trotzdem: was gäbe ich in der kalten Zeit für eine Badewanne!



Samstag, 22. Januar 2011
21.1.2011 Mondaufgang
Der fast noch volle Mond geht gelb wie ein Eidotter und von ebensolcher Form über Saudi Arabien auf. Er hängt wie ein riesiger Lampenschirm über den Bergen und wirft eine safranfarbene Bahn über das stille Wasser. Die Luft ist klar und der Mond erscheint so nah, dass man denkt, man brauche nur die Hand auszustrecken, um einen der Krater zu berühren. Obwohl ich eigentlich arbeiten muss, bleibe ich eine halbe Minute ehrfürchtig stehen. Wie Schönheit einen beglücken kann.



Freitag, 21. Januar 2011
Eel Garden
Hier gehe ich jeden Morgen mit meinem Hund spazieren und bin glücklich.



Donnerstag, 20. Januar 2011
20.1.2011 Delphinshow
Sitze mit Freunden gemütlich im Nirvana. Im realen Leben ist das ein indisches Restaurant in der Bucht, ideal im Winter, da es windgeschützt ist und die Sonne wunderbar wärmt. Der Abstecher in die Bucht war eigentlich nicht geplant, sondern ein Freund rief an und lud mich ein. Ich ging mit einem langarmigen, schwarzen Shirt aus dem Haus und kaufte im Secondhand Laden rasch ein Ärmelloses, um die Sonne besser genießen zu können. Also trinken wir Chai und fühlen uns wie im Urlaub.
Da taucht eine dunkle Flosse aus dem Wasser auf, gleich daneben noch eine. Dolphinmutter mit Kind ist wieder zu Besuch. Zwei Stunden lang ziehen sie die Bucht rauf und runter, verfolgt von Schnorchlern, Tauchern und Freitauchern. Das scheint die Delphine nicht weiter zu stören. Vermutlich sagte die Delphinmutter heute morgen zu ihrem Kind: "Komm, heute zeige ich Dir mal die verrückten Menschen."
Alle Leute am Strand haben ihre Augen jetzt auf die Wasseroberfläche gerichtet. Jedes Mal, wenn ein schwarzer Körper aus dem Wasser auftaucht, geht ein begeistertes Ahh durch die Zuschauermenge. Was für eine schöne Naturshow. Die besten Dinge in Dahab passieren ungeplant.



18.1.2011 Regen in der Wüste
Das Gewitter zieht in der Früh weiter nach Saudi Arabien. In Dahab wird es still. Der Hund, der sich vor Blitz und Donner unter mein Bett versteckt hat, kriecht langsam wieder hervor. Ich höre ihn seufzen. Hagelkörner in der Wüste sind wie der Fisch, der Fahrrad fährt. Nur ist das eine ein Gedankengebäude und das andere Realität. Die Drohung einer Sinflut hänge noch am Himmel.
Die Menschen fangen mit den Aufräumungsarbeiten an. Immer noch herrscht die seltsamme Stille nach dem Sturm, so als seien alle noch erschüttert von dem unwahrscheinlichen Ereignis eines Hagelsturms in der Sinaiwüste. Die meisten sehen gerädert aus. Sie haben die halbe Nacht damit verbracht, Wasser von den Hausdächern zu schieben oder die wichtigsten Güter vor dem eindringenden Regen zu bewahren. Ich habe Glück, mein Haus ist trocken, doch ich erinnere mich, als wir vor fünf Jahren noch in einem alten Beduinenhaus lebten und ein schweres Gewitter alles überflutete. Danach leben wir drei Tage lang mit einem tropfenden Dach, das Wasser klatschte in mindestens fünfundzwanzig Töpfe und Kübel. Eine Art Naturfolter.
Eine Besucherin, die nächste Woche nach Dahab kommen möchte, drückt auf Facebook ihre Hoffnung aus, bis dahin möge der Regen aufgehört haben. Ich muss lachen. Schon morgen kann man hier wieder am Strand liegen und sich die Haut verbrennen lassen. Selbst jetzt im Jänner. Sonnengarantie ist in unserem Fall kein leeres Wort und wir brauchen die Sonne dringend, um all die Teppiche, Polster und Matratzen wieder trocken zu bekommen.