Dienstag, 5. Juli 2011
Aufwachen nach der Revolution
Die Zeit nach der glorreichen ägyptischen Revolution ist wie das Aufwachen nach einer durchzechten Nacht. Man hat einen Kater, Kopfschmerzen, einen bitteren Geschmack im Mund und weiß nicht recht, wo man sich befindet.
So sitzt die ägyptische Gesellschaft in diesen Wochen mit hängendem Kopf am Küchentisch und versucht sich zu erinnern, was eigentlich in der letzten Nacht geschehen ist.
Ein Wunder ist geschehen, der alte, unfähige Diktator (plötzlich nennt ihn jeder bei diesem Namen und der respektvolle Präsidententitel wurde am Tahrir Platz begraben) ist von der Bildfläche verschwunden. Die Euphorie des Siegesrausches hält niemals lange an und nüchtern betrachtet sieht die Zukunft unsicher, wenn nicht gar besorgniserregend aus.
Mit der Vertreibung des Diktator hat man auch die Touristen vertrieben. Ein Viertel aller Ägypter lebt direkt oder indirekt von den Einnahmen aus dem Tourismus. Eine Reisende berichtete, sie wäre mit nur zehn anderen Leuten bei den Pyramiden gewesen, wo sonst hunderte oder gar tausende Menschen herumwandern. Das ist ein unvorstellbares Bild, wenn man selbst die Pyramiden im Geschiebe von Touristenmassen besucht hat. Der Sommer hat begonnen und seine Hitze hält immer Besucher von einer Reise nach Ägypten ab. Es ist vorauszusehen, dass sich erst im Oktober - in der besten Reisezeit - die Hotels wieder füllen werden, aber auch das nur, wenn die bevorstehenden Wahlen im September friedlich über die Bühne gehen. Erst nächste Weihnachten könnte die Tourismusmaschine wieder voll anlaufen, doch wie sollen die vielen Menschen, die ohne Arbeitslose oder finanzielle Rücklagen vom Tourismus leben, diese sechs Monate überstehen?
Die Wahlen im September sollen der erste Schritt in Richtung Demokratisierung sein, doch tiefgreifende Veränderungen in der Gesellschaft werden mindestens fünf oder zehn, manche sagen sogar zwanzig Jahre dauern. Angesichts der wirtschaftlichen Misere ist das ein Zeitraum, für den nur wenige Ägypter die Geduld aufbringen können. In einem Zeitalter, in dem Geldgier und Egoismus als Tugenden angesehen werden, ist es noch viel schwieriger, von der ägyptischen Bevölkerung Solidarität und Beharrlichkeit zu verlangen. Sollte Hunger und Not in nächster Zeit ein Problem für einen großen Teil der Menschen hier werden, dann ist das Land auf dem besten Weg in die nächste Diktatur. Die alten Machthaber, das Militär, die Mitglieder der alten, nun aufgelösten Regierung, die korrupte und verkruste Verwaltung und die sehr reichen Familien, geben nur ungern etwas her, und werden das nur unter massiven Druck der Straße tun. In Tunesien fürchtet man schon um den Erfolg der Revolution und dasselbe geschieht auch in Ägypten. Wir alle hoffen, dass die jungen, demokratisch gesinnten Kräfte über genug Einfluss verfügen, um dieses Land in eine bessere Zukunft zu führen. So schnell das eben geht. Und wir wünschen den Ägyptern, dass sie weiterhin stolz auf ihr Land und ihre Leistungen sein können.



Freitag, 25. März 2011
Der Fahrradständer
Während Ägypten um eine Neudefinition seiner selbst kämpft, gibt es kleine Anzeichen, dass die Revolution vom 11.2. Veränderungen gebracht hat.
Vor einem halben Jahr entschlossen sich die Betreiber des indischen Lokals Nirvana einen Fahrradständer aufzustellen. Das sehr beliebte Lokal liegt am Strand und unzählige Fahrräder verstellten den Zugang, sodass der Fahrradständer eine vernünftige Lösung war. Nach einigen Wochen jedoch musste er auf Anweisung des Bürgermeisters wieder entfernt werden. Es wurde nicht erlaubt, diesen Gegenstand auf öffentlichem Grund aufzustellen. Dass die Promenade, die am Strand entlang führt, an dieser Stelle sehr breit ist, der Fahrradständer also keine Behinderung des Fußverkehrs darstellte, ja sogar Ordnung in das Chaos der abgestellten Fahrräder brachte, war kein Argument, eine Genehmigung für den Fahrradständer zu erteilen.
Dann, fünf Tage nach der Revolution, war der Ständer wieder da und ist es bis jetzt geblieben. Die lokalen Machthaber haben vermutlich jetzt andere Sorgen als sich um die Entfernung eines Fahrradständer zu kümmern.
Auch in diesem Sinnen sind wir der Revolution zu Dank verpflichtet.



Freitag, 25. Februar 2011
Veränderungswünsche
Wir wünschen uns ja alle, dass sich die Zustände in Ägypten für die Bevölkerung bessern.
Ich habe auch ganz private Wünsche.
Vor ein paar Tagen ging ich mit meinem Hund am Strand spazieren. Wunderbar leer und friedlich. Am Rückweg steht ein vielleicht 12jähriger Junge am Strand und winkt mir zu. Ich lächle freundlich zurück. Er greift sich an den Schritt und fängt an sich zu reiben. Es ist acht Uhr morgens und die Hormone treiben ihn schon rum. Als ich näher komme, verschwindet er in einem kleinen Weg, er hat den Ärger in meinem Gesicht schon gesehen. Doch kaum bin ich vorbei, kommt er wieder hervor und zischt mir nach, wie es hier üblich ist, um sexuelles Interesse zu bekunden. Ich tue ihm nicht den Gefallen und schenke ihm mehr Aufmerksamkeit, sondern gehe weiter und ignoriere ihn. Insgeheim wünsche ich mir für einen Moment, mein Hund wäre so erzogen, dass ich ihm befehlen könnte, auf den Jungen los zu springen und ihn heftig an zu bellen. Das würde ihm wenigstens einen gehörigen Schrecken einjagen.

Eines der Dinge, die mich an Ägypten sehr abstoßen, ist die Art, wie ich auf der Straße von vielen Männern behandelt werde. Ich bin für sie nichts weiter als ein Stück Fleisch, das ihren sexuellen Begierden dienen könnte. Das hat nichts damit zu tun, dass ich Ausländerin bin oder mich aufreizend kleide, die ägyptischen Mädchen und Frauen werden genauso behandelt. Den Jungen hat es nicht gekümmert, dass ich mindestens 4x so alt bin wie er, ich bin Frau, das reicht ihm.

Ich verstehe natürlich, dass sexuelle Frustration die Männer zu diesem Verhalten verleitet. Die ägyptische Gesellschaft erlaubt nur minimale Beziehungen zum anderen Geschlecht und sexuelle überhaupt nur in ehelicher Form. Junge Männer können oft erst mit 30 Jahren heiraten, weil sie es sich vorher nicht leisten können, einen Familie zu erhalten. Trotzdem bin ich genervt von diesem Verhalten.
Mit großer Freude kopiere und verteile ich daher einen Flyer, den eine Freundin aus Kairo mitgebracht hat. Dort werden Ratschläge für besseres Verhalten im NEUEN Ägypten aufgelistet, wie "Bezahle keine Schmiergelder", "wirf den Müll nicht einfach auf die Straße" und eben auch: "Belästige keine Frauen auf der Straße".
Ich hoffe für mich und für alle Frauen in diesem Land, dass diese Ratschläge beherzigt werden und ein Wertewandel einsetzt.