Dienstag, 17. Mai 2011
Im Streiten nichts neues
Ich liebe die Stille rund um mein Haus. Obwohl ich sehr zentral wohne, liegt mein Haus in einer ruhigen Straße und wenn es windstill ist, hört man vor allem Nachts keinen Laut.

Um so lauter schallt es dann, wenn sich ein Pärchen mitten in der Nacht in die Haare kriegt. Da die Nächte noch kühl sind, bleiben um diese Jahreszeit die meisten Fenster offen. Es ist Mitternacht, als ich von lauten Stimmen aus dem Nachbarhaus aufgeweckt werde. Ein junger ägyptischer Mann macht seiner polnischen Freundin wegen unanständigem Verhaltens heftige Vorwürfe. Aus ihren Worten geht hervor, dass sie die ganze Aufregung nicht versteht und von seinen Vorwürfen tief verletzt ist.
Ich bin von der Thematik des Streits nicht überrascht. Worüber die beiden streiten, ist so alt wie die Pyramiden.

Der Gutteil der Streitereien im Hause von ägyptisch/ausländischen Ehen beziehen sich auf religiöse und kulturelle Unterschiede, die die meisten jedoch für ihr individuelles Problem halten. Neuankömmlinge, vornehmlich junge Frauen, gehen durch dieselben Phasen und Probleme, die auch die Alt-Eingesessen durchgemacht haben, aber es gibt kaum Kommunikation darüber.

Die Frauen, die hier in gemischten Ehen leben, könnten sich das Leben vielleicht leichter machen, wenn sie ihre Erfahrungen austauschen würden und einander mit Rat und Tat zur Seite stünden. Ägyptische Frauen haben in Vergleich zu europäischen sehr wenige Rechte auf dem Papier und in der Gesellschaft, aber sie haben ihre Herkunftsfamilie, die ihnen im Fall von Schwierigkeiten normalerweise unter die Arme greift. Für europäische Frauen, noch dazu wenn sie nach ägyptischen Recht verheiratet sind, ist eine derartige familiäre Unterstützung weit weg oder nicht vorhanden. Frauensolidarität wäre hier eine große Hilfe.

Trotzdem es nur ganz wenige Erfolgsgeschichten von gemischten Ehe gibt, trotzdem viele Frauen lange Leidensgeschichten erzählen könnten, kommen jedes Jahr unzählige Frauen nach Dahab und stürzen sich in das das Liebes- und Eheglück mit einem Ägypter. Der Standard-Scherz "Mein Mohammed ist anders" klingt mittlerweile nur mehr zynisch und traurig.

Verblüffend ist es zu sehen, wie wenig sich die Frischverliebten mit dem Land und der Kultur ihres Auserwählten beschäftigen und später so manches akzeptieren müssen, was sie sich niemals vorstellen hätte können. Ist der jungen Frau klar, dass ihre Tochter eine gute Chance hat, als Teenager beschnitten zu werden? Ist Ihr klar, dass sie nach ägyptischen Recht ohne schriftliche Erlaubnis ihres Mannes das Land nicht verlassen darf? Ist ihr klar, dass für den Rest der Ehe Haushalt und Kindererziehung alleinig ihre Aufgabe ist? Weiß sie, dass sie nach dem Koran nur die Hälfte eines Mannes wert ist, und dass ihr Mann das Recht hat sie zu schlagen?

In einer normalen Beziehung gibt es schon viele Schwierigkeiten wegen unterschiedlicher Erwartungshaltungen der Geschlechter an einander zu überwinden. Dazu kommen in einer Interkulturellen-Beziehungen oft nicht nur die unterschiedlichen Auffassungen über Religion und gesellschaftliches Verhalten, sondern auch gesellschaftliche Unterschiede, die langfristig Probleme erzeugen können. Würde eine Akademikerin sich in Europa in einen Kellner, der nicht lesen und schreiben kann, verlieben und ihn nach drei Monaten Beziehung heiraten? Was haben die beiden gemeinsam, worüber können sie sprechen? Hier aber gibt es solche Ehen, wo die Partner nicht nur von Mars und Venus kommen, sondern eigentlich aus unterschiedlichen Galaxien.

Eine Ursache der Probleme ist, dass die Ehepartner häufig keine gemeinsame Sprache haben, sondern über eine Drittsprache - meist Englisch - kommunizieren. So ist ein weites Feld von Interpretationen und Falsch-Verstehen geöffnet, bzw fallen Bildungs- und Auffassungsunterschiede vor allem am Anfang weniger ins Gewicht.

Das verbissene und erschöpfte Gesicht vieler langjähriger Ehefrauen, die einst dachten, hier den Traummann gefunden zu haben, sollte ein Denkanstoß für die jungen sein, die sich gerade in dieses Abenteuer stürzen.

Nur ein tiefer Sinn für Toleranz und tiefe Wertschätzung des anderen kann zu einer guten Ehe führen, die so viele tiefe Gräben überwinden muss, dass nur all zu oft die große Liebe auf der Strecke bleibt.



Mulitkulti Kinder in Dahab
In Dahab wächst eine interessante Generation heran. Ich glaube nicht, dass es an einem anderen Ort in Ägypten so viele kulturell gemischte Ehen und Beziehungen gibt wie hier.

Der klassische Fall ist eine Europäerin, die hierher auf Urlaub kommt, sich verliebt und der Beziehung wegen nach Dahab zieht. Der größte Anteil der gemischten Ehen ist hier ägyptisch/europäisch, wobei Europäisch sich auch auf weit hinter den Kaukasus bezieht.

Schon etwas ungewöhnlicher sind Ehe zwischen Beduinen und Europäerinnen, doch auch davon gibt es in Dahab mehr als sonst irgendwo. Kinder aus diesen Beziehungen haben es schwer, da die Beduinen-Gesellschaft sie nicht akzeptieren kann. Abstammung und Familienzugehörigkeit sind für die Beduinen sehr wichtig, Mischlingskinder sind folglich"Bastarde", die keine sozial geachtete Stellung erklimmen können.

Damit ist die breite Palette der kulturellen Vermischungen in dieser Kleinstadt von vielleicht 10.000 Menschen bei weitem nicht zu Ende.

So gibt es hier z.B. auch einen Ägypter aus Alexandria, der mit einer Tunesierin verheiratet ist, beide sind jedoch auch Kanadische Staatsbürger. Ihre Kinder wurden in Kanada geboren und verbrachten dort ihre ersten Lebensjahre, bevor sie in das internationale Dorf Dahab zogen.

Von der Anzahl der Nationen her könnte man Dahab für eine Weltmetropole halten.

Eine Estländerin fand und verlor (durch einen Autounfall) hier in Dahab ihren deutschen Ehemann und Vater ihres Kindes. Eine Australierin und ein Schwede verliebten sich in Dahab und zogen erst letzte Jahr nach Australien, um dort eine Familie zu gründen. Eine Deutsche trifft hier einen Engländer indischer Abstammung und gemeinsam versuchen sie nun, sich eine Zukunft aufzubauen. Eine Irländerin begegnet der Liebe ihres Lebens hier in Person eines Dänen, der auch Halbägypter ist. Eine Russin mit einem Italiener, eine Hongkong-Chinesin mit einem Deutschen, eine Südafrikanerin mit einem Ägypter, der in der Schweiz aufgewachsen ist und einen Schweizer Pass hat, die Liste lässt sich endlos fortsetzen.

Die Umgangssprache in den meisten dieser Beziehungen ist Englisch, das alle mehr oder weniger gut beherrschen. Kinder aus diesen Beziehungen wachsen hier mit mindestens drei Sprachen auf und können sich mit fünf oder sechs Jahren fließend in Englisch, Arabisch und die jeweilige Muttersprache der Eltern ausdrücken. Meist lernen sie auch noch Bruchstücke von Spielgefährten wie Deutsch, Französisch, Russisch oder Beduinen-Arabisch. Das Lieblingswort eines Kindes, das einen englischen Vater und eine Singapur-Chinesin zur Mutter hat, ist AUTO. Das hat er von seinem besten Freund gelernt, der einer österreichisch-deutschen Beziehung entstammt. Dieser deutsche Vater wiederum ist ein Bayer, dessen Mutter in Nachkriegsbesetzten Deutschland von einem schwarzen, amerikanischen Soldaten schwanger wurde.

Vermutlich gibt es nur wenige Orte in der Welt, wo die Gene so fröhlich durcheinander geschüttelt werden.
Die Kinder feiern islamische und christliche (katholisch, orthodox oder auch koptisch zur freien Auswahl) Feiertage, essen asiatisch, ägyptisch, europäisch und afrikanisch, kriegen in der Schule das eine Wertesystem eingehämmert, zu Hause ein anderes und auf der Straße gilt sowieso das Kindergesetz.

Wie nun werden diese Kinder in dem wilden kulturellen Mix umgehen, wenn sie erwachsen sind? Werden sie eines Tages die Brückenbauer zwischen verfeindeten Kulturen sein? Ich hoffe es.
Tatsache ist, dass man in Dahab immer hineinpasst, wenn man sonst nirgends hin passt. Einer der Gründe, warum es sich hier so gut leben lässt.