Startseite :
Kategorien : Aufstand in Ägypten
Abschied
Als ich diesen Blog vor über einem Jahr begonnen habe, war er dazu gedacht, einen Eindruck vom Leben in Dahab zu vermitteln. Dann kam die ägyptische Revolution und das Leben veränderte sich unwiederbringlich. Es waren keine radikalen Veränderungen, vieles geschah fast unmerklich, schleichend und langsam. Nur weniges veränderte sich zum Guten.
Die Lebensmittelpreise stiegen an. Das taten sie zwar schon seit einigen Jahren, doch im letzten Jahre war dies deutlich spürbar. Es kamen weniger Touristen. Das hatten wir auch schon zuvor erlebt, zum Beispiel nach den Bombenanschlägen von 2007 und wie damals wird sich der Tourismus auch davon in ein oder zwei Jahren wieder erholen.
Sehr deutlich spürbar war die veränderte Sicherheitslage. Es wurde sehr viel mehr eingebrochen und gestohlen, ein Zeichen dafür, in welcher prekären Situation sich viele Ägypter befinden und wie viel weniger die Polizei zur Aufrechterhaltung der öffentlich Sicherheit beiträgt. Manche Medienberichte bezeichneten den Sinai als rechtsfreien Raum und dazu konnte man nur zustimmend nicken.
Zu den guten Veränderungen gehört, dass die Beduinen sich organisieren und lautstark auf ihre Probleme und Forderungen aufmerksam machen. Die Sicherheitslücken ermöglichen zumindest ihnen, wieder mehr Kontrolle auf eigenem Land auszuüben. Ob das allerdings eine dauerhafte Entwicklung ist, bleibt abzuwarten.
So wie nicht abzusehen ist, ob es für Ägypten tatsächlich eine Veränderung in Richtung Demokratie, Freiheit und mehr soziale Gerechtigkeit geben wird. Die Masse der Bevölkerung wünscht sich nicht viel mehr als Arbeit, genug zu essen und die Möglichkeit, die Kinder auf eine gute Schule zu schicken. Doch die Mächtigen fürchten, aus diesen Kindern könnten einmal mündige Bürger werden, die dann noch viel mehr fordern, wie Mitspracherecht, die Möglichkeit unbeschadet seine Meinung zu äußern und das Recht, Missstände anzuklagen. Die jungen Leute, die die Revolution immer noch am Laufen halten, sind genau das: gut ausgebildet und doch ohne Chance auf ein freies und selbstbestimmtes Leben mit guten Einkommensmöglichkeiten. Talent, Ehrgeiz und Können zählen in einem korrupten System wie Ägypten nicht. Weiter bringt einen nur Geld, Familienverbindungen und der Kontakt zu einflussreichen Leuten und dieser Weg steht nur wenigen offen.
So ringen die verschiedenen gesellschaftlichen Kräfte um neue Machtverhältnisse. Die alte Garde will nicht abtreten und kann die Zeichen der Zeit nicht erkennen. Die Jungen haben nichts zu verlieren. Es erscheint ihnen besser, ihr Leben auf der Straße im Kampf gegen ein ungerechtes System zu verlieren als mit einem hoffnungslosen Leben, in dem man vor allem schikaniert und gedemütigt wird, weiter zu machen.
Wie viele, die die Gastfreundschaft Ägyptens so oft genossen hat, wünsche ich den Menschen dieses großartigen Landes, dass sie mehr von den Rechten und von dem Wohlstand erringen können, die für uns in Europa so selbstverständlich sind.
Für mich persönlich war es Zeit, Ägypten zu verlassen und in Europa ein neues Leben zu beginnen. Darum werde ich diesen Blog beenden und danke allen LeserInnen, die sich die Zeit genommen haben, meinen Berichten Aufmerksamkeit zu schenken.
Ist Revolution sinnlos?
So wie in Dahab das normale Leben im Tourismus weitergeht – wenn auch mit weniger Gästen als im letzten Jahr – so gehen in Kairo die Demonstrationen und das Töten weiter. Es ist bizarr, wie weit weg 500 km erscheinen können. Anders als vor einem Jahr findet die ägyptische Jugendbewegung keinen Rückhalt mehr in der breiten Bevölkerung. Mubarak war ein gemeinsames Feindbild, alle waren überrascht davon, wie leicht er sich demontieren ließ.
Das Militär zielte auf genau jenem Effekt ab, den wir jetzt beobachten können. Sie opferten den Bauern, um die Massen zu beruhigen, und um Zeit zu gewinnen, damit die die Hausmacht im Hintergrund gefestigt werden konnte. Die Rechnung ging auf. Die freien Wahlen werden von religiösen Parteien gewonnen, vor allem von den Muslimbrüdern, die sich jahrzehntelang um die arme Bevölkerung gekümmert haben und deswegen in guten Ansehen steht. Sie ernten die Früchte der Revolution, an der sie kaum Anteil hatten, während die Initiatoren – vor allem junge und gebildete ÄgypterInnen – auf der ganzen Front verlieren.
In Romanen ist der Held oft eine tragische Figur, die chancenlos gegen Windmühlen kämpft. Es steht zu befürchten, dass die ägyptische Jugendbewegung diese Rolle nun übernimmt und sich am Tahrirplatz totläuft. Tot nicht nur im übertragenem Sinn, sondern wortwörtlich. So wie die chinesische Jugend 1989 am Tiananmen-Platz aufgerieben wurde, so könnte es auch der ägyptischen ergehen. Sie haben keine Waffen, keinen Rückhalt in der breiten Bevölkerung, keinen charismatischen Führer, der eine klare Richtung vorgeben könnte. Alles, was sie haben, ist eine tiefe Liebe für ihr Land und die Opferbereitschaft, ihr Leben zu lassen, allein für die Möglichkeit, dass es eines Tages allen Menschen in Ägypten – nicht nur die wenigen Reichen – gut gehen könnte und sie in Freiheit leben.
Dafür riskieren sie Verletzungen, Traumatisierungen und den Tod, während eine dem Militär nahe stehende Fernsehstation ihren Müttern mitteilt, sie verdienten zwanzig Peitschenhiebe auf die Füße (sehr schmerzhaft, weil es direkte Nervenverbindungen von der Fußsohle ins Gehirn gibt!), da sie ihre Kinder nicht richtig erzogen hätten.
Das Bild einer jungen Frau (siehe
http://www.youtube.com Stichwort: Blue Bra), die halb entblößt und wehrlos von mehreren Soldaten brutal verprügelt wird, erschüttert vor allem das Ausland, aber nicht die ägyptische Kanapee-Fraktion, die gemütlich auf ihrem Sofa sitzt und befindet, die Frau hätte nichts besseres verdient, schließlich gehöre eine Frau ins Haus und nicht auf die Straße.
Niemand redet von dem Mut dieser jungen Frau. In Ägypten sind Frauen ihr Leben lang sexuellen Belästigungen ausgesetzt, wenn sie sich in der Öffentlichkeit bewegen. Die harassmap (http://harassmap.org/?l=en_US), eine Seite, die Belästigungen von Frauen in Ägypten registriert und zusammenfasst, gibt davon einen guten Eindruck, obwohl dort nur ein Bruchteil der Vorkommnisse gemeldet wird. Die Demonstrantinnen am Tahrir riskieren mehr als die Männer, denn körperlich schwächer und durch Vergewaltigung weit verletzbarer, sind sie ein beliebtes Opfer, um nicht zu sagen, Freiwild geworden.
Es schmerzt zu denken, dass die Opfer dieser Frauen vielleicht sinnlos und vergebens sind. Sollten die religiösen Parteien tatsächlich die Macht im Land übernehmen, werden sie logischerweise versuchen, die Rechte der Frauen nach ihren Glaubensvorstellungen weiter einzuschränken.
Ist das alles daher sinnlos?
Nein. Revolutionen, auch die niedergeschlagenen, bringen immer eine gesellschaftliche Veränderung. Fraglich ist nur, in welche Richtung sie gehen wird: zu mehr Konservativismus und religiösem Fanatismus oder zu mehr Freiheit und allgemeinen Wohlstand?
Traurig ist, dass die TrägerInnen der Revolution nur selten zu den Siegern oder gar zu den Überlebenden zählen.
Je verzweifelter ein Held gegen unüberwindbare Hindernisse kämpft, desto mehr bewundern wir ihn. Wir bewundern den Mut, die Courage, die Selbstlosigkeit, mit der sich jemand für ein höheres Ziel opfert, wir leiden mit, wir hoffen und beten, er möge es schaffen. Ein Happy End bekommen wir dann, wenn irgendein unglaubliches Wunder geschieht, dass aus dem offensichtlichen Verlierer schließlich doch einen Gewinner macht. Ich hoffe auf ein Wunder für Ägypten.
janafish am 28. Dezember 11
|
Permalink
|
0 Kommentare
|
kommentieren
Die Angst vor dem Neuen
Von mehreren Seiten höre ich nun, dass die Beduinen in Dahab sehr beunruhigt über den Abgang Mubaraks sind. Was kommt nun, fragen sie ängstlich. Vergessen sind all ungerechtfertigten Verhaftungen und Unterdrückungsmaßnahmen. Zuerst haben die Engländer das Land besetzt und dann die Israelis. Die Israelis brachten wenigstens Arbeit und Entwicklung ins Land, ließen die Beduinen aber weitgehend so leben wie sie wollten und versuchten, sich mit den Ältesten abzusprechen. Die große Beliebtheit der Israelis bei den Beduinen erweckte die Ängste der Ägypter, als die schließlich Anfang der 80er Jahre das Land übernahmen. Seitdem kennen die Beduinen nur Mubarak und sein System. Wieder haben sie das Gefühl, dass ihr Schicksal woanders entschieden wird. Sie hatten nie Einfluss darauf, was in Kairo entschieden wird und eine mögliche Änderung des System löste massive Verunsicherung aus. Sie glauben nicht, dass es sich zu einem besseren wenden können. Unter Demokratie und Selbstbestimmung können sie sich vermutlich nicht viel vorstellen. Es ist ihnen nicht klar, wofür all diese Menschen am Tahrir Platz gekämpft haben, sie wissen nur: Veränderung kann nur Schlechtes für sie bedeuten. Hoffen wir, dass sie damit falsch liegen.
janafish am 16. Februar 11
|
Permalink
|
0 Kommentare
|
kommentieren
11022011
Was für ein unglaubliches Datum, in jeder Hinsicht!
Es ist tatsächlich geschehen, Mubarak hat aufgegeben, und kaum ist dieses Ziel erreicht, beginnen die Sorgen und Ängste. Was kommt jetzt?
In Dahab blieb es nach der umwerfenden Nachricht erstaunlich ruhig. Während ganz Ägypten feiert, sind die Leute hier sehr zurückhaltend, man merkt kaum etwas auf der Straße. Das mag daran liegen, dass so viele Leute weggegangen sind, so viele Ausländer hier leben, die sich nicht weiter für Politik interessieren oder Dahab erstaunlich Mubarakfreundlich ist. Die Beduinen haben Angst, dass jede Veränderung eine Veränderung zum Schlechten bringt. Lieber mit einem Unterdrücker leben, denn man kennt, scheint ihre Devise zu sein. So schlimm war Mubarak doch gar nicht, heißt es plötzlich. Die vielen unrechtmäßig ins Gefängnis geworfenen und gefolterten Menschen, darunter auch viele Beduinen, sind schon vergessen.
Ich persönlich hoffe, dass sich die Dinge für die Ägypter zu einem Besseren ändern, dass sie irgendwann in einer Demokratie leben dürfen und ihr Schicksal selbst bestimmen können. Ich hätte nie gedacht, dass Mubarak so schnell aufgibt, ich rechnete damit, dass die Demonstrationen noch wochen- oder monatelang weitergehen müssen, bevor sich der Alte dem Willen des Volkes beugt. Doch die unglaubliche Solidarität des ägyptischen Volkes, gespeist von einer tiefen Verzweiflung, ist bewundernswert. Endlich können sie auf etwas stolz sein, das benötigt diese Nation dringend.
janafish am 12. Februar 11
|
Permalink
|
0 Kommentare
|
kommentieren
Aufstand in Ägypten: 7.2.2011
Die Demonstrationen in Kairo gehen in geringerem Maße weiter, doch für uns hier ist es unwirklich geworden. Alles ist wieder normal, soweit man in Dahab von Normalität sprechen kann. Es verblüfft mich, dass hier, wo man sich sonst standhaft weigert, zu viel über ernste Themen zu sprechen, nun plötzlich jeder politisiert ist und eine Meinung zu Mubarak hat. Meiner Ansicht nach sind die eher wohlhabenden für ihn – vielleicht nur bis zu den Neuwahlen - und die Armen gegen ihn. Auf jeden Fall haben die Herrschenden begriffen, dass sie sich nicht weiter auf Kosten der großen Masse bereichern können und hoffentlich halten sie den Druck lang genug aufrecht, damit es zu Veränderungen zu ihren Gunsten kommt.
Ich schließe mich der vorherrschenden Meinung an, dass die Muslimbrüder keine allzu große politische Rolle spielen. Ägypten ist natürlich in den letzten 20 Jahren konservativer und religiöser geworden, aber das ist in allen arabischen Ländern passiert, ausgehend von Saudi Arabien. Petrol-Islam nennt es einer meiner ägyptischen Freunde. Doch die Ägypter sind nicht fundamentalistisch und viel zu viele von ihnen leben vom Tourismus und Handel mit dem Ausland, als dass sie sich eine streng islamische Führung wünschen würden. Kein Mensch bezeichnet es hier als islamische Revolution. Es war ganz klar eine Jugend, die sich eine bessere Zukunft wünscht und die soll vor allem Demokratie und Freiheit beinhalten.
janafish am 08. Februar 11
|
Permalink
|
0 Kommentare
|
kommentieren
Medien und Angst
5.2.2010
In Dahab war gestern die Polizei wieder sichtbar. Polizeiwagen sind auf der Straße und auf der Promenade wandern einige gemächlich auf und ab. Heißt das, dass die Staatsmacht wieder ans Ruder gelangt ist? In Dahab erscheint alles unverändert. Die Männer sind vielleicht ein wenig nervöser, aber sonst ist nicht viel zu bemerken.
Was Leute sagen und erzählen, ist immer eine Meinung und das betrifft auch die Medien. Unser Psyche jedoch verarbeitet es als Fakten, und wenn diese Information eine Urangst in uns trifft, dann reagieren wir mit Panik und Fluchtgedanken, und denken nicht daran, die uns gegeben Information auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Vermutlich hat das mit unserem Steinzeitinstinkt zu tun, wo überlegen und nachprüfen zu viel Zeit und folglich das Leben gekostet hätte. Wenn einer meiner Sippe gelaufen kommt und schreit: „die Nachbarsippe greift uns an“, da gehe ich nicht hin und überprüfe, ob das stimmt, was er sagt, sondern laufe weg. Dieser Mechanismus funktioniert immer noch einwandfrei, der moderne Mensch hat allerdings das Problem mit zu viel Information gefüttert zu werden und in den meisten Fällen gar keine Möglichkeit, diese auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Wir müssen darauf vertrauen, dass Autoritäten und Medien uns die Wahrheit sagen.
Was sie in den seltensten Fällen tun. Die modernen Medien erscheinen wie ein äußerst negativer Mensch. Wir alle haben jemanden in unserem Freundes- und Bekanntenkreis, der immer nur klagt, alles schwarz malt und sich sensationsgeil auf jedes negative Ereignis stürzt und genüsslich die Einzelheiten breitwälzt. Das ist der hervorstechendsten Charakterzug unserer Medien. Der Mensch in der sogenannten westlichen Welt befindet sich kaum mehr in tatsächlicher Lebensgefahr, d.h. ihm fehlt das Adrenalin einer gefährlichen Situation, die das Leben so lebenswert machen kann. Die Medien geben ihm nun diesen Kitzel, ohne das er etwas für sein eigenes Leben befürchten muss.
Es ist schon auffällt, dass unsere Freunde und Verwandten in Europa sehr viel panischer reagieren, als die Leute hier, die in der tatsächlichen Situation sein. Jeder von uns hat Anrufe von besorgten oder sogar hysterischen Eltern, die zum sofortigen Verlassen des Landes auffordern. Die Leute „draußen“ haben nur das Bild, das ihnen die Medien vermittelt und sie sehen nur Gewalt, brennende Autos, weinende Menschen. Wir hier haben andere Informationsquellen und können etwas gelassener sein, vor allem wenn unser Alltag weitgehend bestehen bleibt. Ich nehme so kleine Zeichen wie die immer noch täglich vorbeikommende Müllabfuhr und die staatliche Wasserlieferung, die heute pünktlich wie immer gekommen ist, als Hinweis darauf, dass die Situation in Ägypten nicht so kritisch ist, dass ich um mein Leben fürchten muss. Aber ich bin sicher, dass meine Eltern den schlimmen Neuigkeiten der Nachrichten mehr Glauben schenken als meinen Versicherungen, dass so weit alles in Ordnung ist.
Als ich Journalismus studierte, lernte ich die alte Regel: Only bad news are good news. Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten (für den Journalisten!). Der Journalist findet also nur Katastrophen, Krisen, Leid, Drama und ähnliches berichtenswert. Natürlich muss von den schlimmen Dingen dieser Welt berichtet werden, denn sonst wäre z. B. der Vietnamkrieg nie beendet worden. Doch ich wünsche mir eine neue Regel: auf vier schlechte Nachrichten muss eine gute folgen. Es geschehen täglich und überall wunderbare Dinge, Menschen werden wie durch ein Wunder gerettet, Unglück wird abgewendet, etwas Neues und Faszinierendes wurde entdeckt, es gibt auch genug davon zu berichten. Für die Psychohygiene des modernen Medienkonsumenten würde ich mir diese neue Regel bei der Ausbildung von Journalisten wünschen.
Bei all den schlimmen Nachrichten aus Kairo bin ich entzückt über die kleinen, humorvollen Scherze und Comics zur Krise, die einen zum Lachen bringen und somit die Anspannung etwas von uns nehmen. Hier ein wunderschönes Beispiel:
janafish am 05. Februar 11
|
Permalink
|
0 Kommentare
|
kommentieren
Aufstand in Ägypten: 4.2.2011
Freitag! Die Gerüchteküche besagt, dass es heute wieder zu großen Demonstrationen kommen wird. Ist es wirklich erst eine Woche her, dass es zu der ersten Massendemonstration gekommen ist?
Ich telefoniere mit einer Freundin, die Fotojournalistin ist und immer noch in Kairo. Ich erwische sie am Flughafen, sie verlässt das Land. Die Journalistenhetze, die gestern in Kairo stattgefunden hat, lässt Übles befürchten. Es könnte sein, dass sie nun versuchen, den Zorn der Menschen auf Ausländer zu lenken, es könnte aber auch sein, dass heute mit massiver Gewalt zurückgeschlagen wird und sie so wenig ausländische Zeugen wie möglich haben wollen. Beide Gedanken verursachen mir Enge in der Brust.
„Bleibe am besten zu Hause,“ rät meine Freundin, dabei habe ich gerade mit Freunden ausgemacht, mich um die Mittagszeit mit ihnen am Strand zu treffen. Es ist interessant, wie man von seiner eigenen Situation automatisch auf die Situation von anderen schließt. Sie hat nun zehn Tagen in Anspannung und Angst verbracht, während mich nur Nachrichten von ihr und vom Fernsehen aufwühlen, aber keinerlei persönliche Erfahrung. Ich werde später am Strand liegen, vielleicht sogar schwimmen gehen, und über die Festivitäten zum chinesischen Neujahr mit einer Freundin aus Singapur plaudern, während in Kairo – ein paar hundert Kilometer entfernt – Revolution gemacht wird und Menschen Gewalt angetan wird. Wir sagen immer, Dahab ist ein Platz, wo sich vor allem verrückte Leute wohlfühlen, die in sonst kein Schema passen, aber allmählich bekomme ich das Gefühl, dass Dahab normal ist und der Rest der Welt verrückt.
Sehr beruhigend war gestern ein Gespräch mit dem deutschen Bäcker in Dahab. Er ist mit einer Österreicherin verheiratet und erzählte mir, sie und ich seien die einzigen Österreicherinnen hier. Die Botschaft hätte sie angerufen und ihr versichert, im äußersten Notfall würden sie uns einen Hubschrauber schicken und uns hier rausfliegen. Auch wenn das sehr nach Action-Film klingt, ist es doch das Bild, das ich in meinem Kopf hatte. Wieder einmal bin ich sehr dankbar für meinen österreichischen Pass. Ich werde also bleiben, solange ich was zu tun und zu essen habe.
Wieder einmal heißt es warten. Was wird heute passieren? Wie viele Menschen müssen heute leiden und sterben, nur weil einige fette Bonzen glauben ein Recht auf ihre Privilegien zu haben? Wie immer ist es diese Ungerechtigkeit, die mich zur Verzweiflung treibt. Und da sitze ich nun, in meinem wunderschönen Garten und frühstücke mit meiner Freundin. Es ist ein sehr warmer Tag mit leichter Südwind und ein paar vereinzelten Wolken. Ein perfekter Tag für den Strand. Und da gehen wir nun auch hin und vergessen für ein paar Stunden die Revolution.
janafish am 04. Februar 11
|
Permalink
|
0 Kommentare
|
kommentieren
Aufstand in Ägypten: 3.2.2011
Wer dieses Regime kennt, hätte sich gewundert, wenn der Aufstand gewaltlos über die Bühne gegangen wäre. Mubarak schickte gestern seine Schlägertruppen und Polizei auf den Tahrir Platz, um die dort immer noch demonstrierenden Leute für ihre Anmaßung, demokratische Reformen zu fordern zu bestrafen. Es tut mir in der Seele weh an all die Menschen zu denken, die dort verletzt und vielleicht getötet werden, weil sie mehr Demokratie, Rechtssicherheit und bessere Verteilung des Reichtums fordern.
Aber die, die bisher vom System profitiert haben, leben jetzt in Angst und folgen nur zu willig der Aufforderung, zurück zu schlagen. Dieses Land funktioniert weitgehend nach diesem Motto: Hast du Geld und kennst die richtigen Leute, kannst du dir alles erlauben. Hast du das nicht, trampelt ein jeder, der mehr hat als du, auf dir rum. Die Mittelschicht ist in Ägypten praktisch nicht vorhanden und gibt es eine funktionierende Demokratie nur mit einer ausgeprägten Mittelschicht?
Natürlich ist dem Land nicht geholfen, wenn Mubarak einfach verschwindet. Das ganze System gehört geändert, die Polizei neu strukturiert und das Verdrehen der Gesetze muss unterbunden werden. Die Polizei hat seit 30 Jahren willkürlich gehandelt, da werden Wölfe nicht plötzlich Lämmer. Die müssen erst umlernen, dass ihre Aufgabe in erster Linie darin liegt, den Bürger zu beschützen und nicht ihn zu malträtieren, weil es ihnen gerade so einfällt. Sich an Recht und Gesetz zu halten haben die Menschen hier in den letzten 30 Jahren verlernt.
Meine Lösung wäre: Mubarak bleibt noch 4 weitere Monate an der Macht und bereitet Reformen vor. Als erstes muss die Notstandverordnung aufgehoben werden, auf Grund derer er sich so lange an der Macht halten konnte. Gestern sprach er davon, die Regierungszeit eines Präsidenten zeitlich beschränken zu wollen, was mich zu einem bitteren Lachen veranlasste. Zu so einer Äußerung kann er sich nur durch massiven Druck veranlasst sehen. Das Angebot im September abzutreten ist lächerlich und das wissen auch alle, dann das war sowieso sein Plan. Er wollte bei den Wahlen im September seinen Sohn als Nachfolger installieren und das Land weitere 30 Jahre in dem Zustand absoluter Abhängigkeit von seiner Familie und Partei halten. Das ist kein Zugeständnis und darum gehen die Demonstranten auch nicht heim.
Möge der Glaube den Menschen hier helfen, diese Krise durchzustehen und möge Mubarak eine Erleuchtung treffen und ihn menschlich handeln lassen.
Immer mehr Leute verlassen das Land, vor allem in Kairo. Ich telefoniere noch mit einer Freundin, die in Kairo am Flughafen sitzt und auf ihre Maschine nach Österreich wartet. Bis gestern, sagt sie, war das alles eine enthusiastische Revolution, aber jetzt wird es bitter. Mubarak hält sich in Sharm el Sheik versteckt, erzählt sie mir und das macht mich wütend. So ein Feigling, in Kairo könnten sie wahrscheinlich nicht mehr für seine Sicherheit garantieren und wenn er abhaut, dann ist es von dort aus sehr viel einfacher. Das zeigt aber auch, wie verunsichert er ist.
Lass mein Volk ziehen, sagte schon Moses zu dem Pharao und das selbe rufen wir jetzt Mubarak zu: Lass die Ägypter in eine neue Zukunft ziehen und lade nicht noch mehr Blutschuld auf dein Gewissen.
Aufstand in Ägypten: 2.2.2011
Morgens teste ich wie jeden Tag, ob das Internet funktioniert. Nichts.
Ich mache mich wieder an die Arbeit und schreibe an meinem Yogamanuskript.
Doch ich habe von niemanden etwas gehört, weiß also nicht, was in der Nacht gelaufen ist. Ich fange an, herum zu telefonieren. Meine Mutter bringt endlich die Nachricht, dass alles friedlich verlaufen sei und Mubarak seinen Rücktritt in 8 Monaten angekündigt habe. Ich glaube nicht, dass das für die Demonstranten genug ist, doch es ist ein Schritt.
Dann die wunderbare Nachricht: Internet funktioniert wieder.
Sofort stürze ich mich auf Facebook und Mails. Endlich sind wir wieder mit der Außenwelt verbunden. Versichere alle über mein Wohlbefinden. Skype mit meinen Eltern, einer Freundin in Wien und einer in Thailand. Wie schön ist doch globale Kommunikation. Endlich alle Nachrichten abrufbar. Nun geht es aufwärts, hoffe ich. Zumindest entspannt die Freigabe des Internets die Lage. Nun können wir nur abwarten, was die nächsten Tage und Wochen bringen.
janafish am 02. Februar 11
|
Permalink
|
0 Kommentare
|
kommentieren
Aufstand in Ägypten: 1.2.2011
Am Morgen rufe ich eine Freundin an, die nach Kairo gegangen ist. Sie ist auf dem Weg zum Tahrir Platz, wo eine riesige Demonstration stattfinden soll.
"So viele Leute sind schon unterwegs," sagte sie, "ich kann es gar nicht glauben. Sehr aufwühlend, sehr emotional."
Ich gehe während des Tages meinen üblichen Aufgaben und Vergnügungen nach, aber innerlich fühle ich diese Aufregung. Überall in ganz Ägypten gibt es riesige Demonstrationen, alles könnte sich heute entscheiden.
Dahab ist ein Platz wie hinter dem Mond. Die Welt könnte untergehen, in Dahab läuft alles wie gehabt. Gäbe es nicht die Gerüchte und das gesperrte Internet würde man in Dahab überhaupt nicht mitbekommen, welche Umwälzungen im Land stattfinden.
Ich rede mit einer Schweizerin, die mit einem Ägypter verheiratet ist. Sie erzählt, heute morgen sei ihr Mann erstmals nervös geworden und hätte gesagt, sie sollte sich eventuell um einen Flug bemühen. Er habe Angst, die Aufständischen kämen von Süden nach Dahab und die Israelis würden von Norden her einmarschieren, weil sie keinen islamischen Staat in Ägypten erlauben würden. Dieses Szenario erscheint mir völlig absurd, aber für sie ist es eine ernsthafte Überlegung wert.
So beobachte ich, wie die Angst und die Unsicherheit mit jedem sein eigenes, grausames Spiel spielt.
Mehrere Leute sprechen davon, nach Europa zu fliegen, nur zur Sicherheit.
Ich treffe eine Freundin zum Mittagessen, die zufälligerweise in zwei Wochen einen Flug nach Deutschland gebucht hat, also ein Ticket hier raus hat. Ich merke, dass ich sie darum beneide. Ich überlege, ob ich meine Mutter anrufen soll, damit sie mir einen Flug bucht. Nur für 1-2 Wochen weg, bis sich die Situation beruhigt hat oder sich abzeichnet, wie es weitergeht.
Doch wieder stellt sich die Frage, was mit meinen Haustieren dann geschehen soll und ich habe ja auch noch andere Verpflichtungen.
Also versuche ich, mich nicht irre machen zu lassen. Abwarten, was nach der großen Demonstration raus kommt.
janafish am 02. Februar 11
|
Permalink
|
0 Kommentare
|
kommentieren