Im Streiten nichts neues
Ich liebe die Stille rund um mein Haus. Obwohl ich sehr zentral wohne, liegt mein Haus in einer ruhigen Straße und wenn es windstill ist, hört man vor allem Nachts keinen Laut.

Um so lauter schallt es dann, wenn sich ein Pärchen mitten in der Nacht in die Haare kriegt. Da die Nächte noch kühl sind, bleiben um diese Jahreszeit die meisten Fenster offen. Es ist Mitternacht, als ich von lauten Stimmen aus dem Nachbarhaus aufgeweckt werde. Ein junger ägyptischer Mann macht seiner polnischen Freundin wegen unanständigem Verhaltens heftige Vorwürfe. Aus ihren Worten geht hervor, dass sie die ganze Aufregung nicht versteht und von seinen Vorwürfen tief verletzt ist.
Ich bin von der Thematik des Streits nicht überrascht. Worüber die beiden streiten, ist so alt wie die Pyramiden.

Der Gutteil der Streitereien im Hause von ägyptisch/ausländischen Ehen beziehen sich auf religiöse und kulturelle Unterschiede, die die meisten jedoch für ihr individuelles Problem halten. Neuankömmlinge, vornehmlich junge Frauen, gehen durch dieselben Phasen und Probleme, die auch die Alt-Eingesessen durchgemacht haben, aber es gibt kaum Kommunikation darüber.

Die Frauen, die hier in gemischten Ehen leben, könnten sich das Leben vielleicht leichter machen, wenn sie ihre Erfahrungen austauschen würden und einander mit Rat und Tat zur Seite stünden. Ägyptische Frauen haben in Vergleich zu europäischen sehr wenige Rechte auf dem Papier und in der Gesellschaft, aber sie haben ihre Herkunftsfamilie, die ihnen im Fall von Schwierigkeiten normalerweise unter die Arme greift. Für europäische Frauen, noch dazu wenn sie nach ägyptischen Recht verheiratet sind, ist eine derartige familiäre Unterstützung weit weg oder nicht vorhanden. Frauensolidarität wäre hier eine große Hilfe.

Trotzdem es nur ganz wenige Erfolgsgeschichten von gemischten Ehe gibt, trotzdem viele Frauen lange Leidensgeschichten erzählen könnten, kommen jedes Jahr unzählige Frauen nach Dahab und stürzen sich in das das Liebes- und Eheglück mit einem Ägypter. Der Standard-Scherz "Mein Mohammed ist anders" klingt mittlerweile nur mehr zynisch und traurig.

Verblüffend ist es zu sehen, wie wenig sich die Frischverliebten mit dem Land und der Kultur ihres Auserwählten beschäftigen und später so manches akzeptieren müssen, was sie sich niemals vorstellen hätte können. Ist der jungen Frau klar, dass ihre Tochter eine gute Chance hat, als Teenager beschnitten zu werden? Ist Ihr klar, dass sie nach ägyptischen Recht ohne schriftliche Erlaubnis ihres Mannes das Land nicht verlassen darf? Ist ihr klar, dass für den Rest der Ehe Haushalt und Kindererziehung alleinig ihre Aufgabe ist? Weiß sie, dass sie nach dem Koran nur die Hälfte eines Mannes wert ist, und dass ihr Mann das Recht hat sie zu schlagen?

In einer normalen Beziehung gibt es schon viele Schwierigkeiten wegen unterschiedlicher Erwartungshaltungen der Geschlechter an einander zu überwinden. Dazu kommen in einer Interkulturellen-Beziehungen oft nicht nur die unterschiedlichen Auffassungen über Religion und gesellschaftliches Verhalten, sondern auch gesellschaftliche Unterschiede, die langfristig Probleme erzeugen können. Würde eine Akademikerin sich in Europa in einen Kellner, der nicht lesen und schreiben kann, verlieben und ihn nach drei Monaten Beziehung heiraten? Was haben die beiden gemeinsam, worüber können sie sprechen? Hier aber gibt es solche Ehen, wo die Partner nicht nur von Mars und Venus kommen, sondern eigentlich aus unterschiedlichen Galaxien.

Eine Ursache der Probleme ist, dass die Ehepartner häufig keine gemeinsame Sprache haben, sondern über eine Drittsprache - meist Englisch - kommunizieren. So ist ein weites Feld von Interpretationen und Falsch-Verstehen geöffnet, bzw fallen Bildungs- und Auffassungsunterschiede vor allem am Anfang weniger ins Gewicht.

Das verbissene und erschöpfte Gesicht vieler langjähriger Ehefrauen, die einst dachten, hier den Traummann gefunden zu haben, sollte ein Denkanstoß für die jungen sein, die sich gerade in dieses Abenteuer stürzen.

Nur ein tiefer Sinn für Toleranz und tiefe Wertschätzung des anderen kann zu einer guten Ehe führen, die so viele tiefe Gräben überwinden muss, dass nur all zu oft die große Liebe auf der Strecke bleibt.