Aufwachen nach der Revolution
Die Zeit nach der glorreichen ägyptischen Revolution ist wie das Aufwachen nach einer durchzechten Nacht. Man hat einen Kater, Kopfschmerzen, einen bitteren Geschmack im Mund und weiß nicht recht, wo man sich befindet.
So sitzt die ägyptische Gesellschaft in diesen Wochen mit hängendem Kopf am Küchentisch und versucht sich zu erinnern, was eigentlich in der letzten Nacht geschehen ist.
Ein Wunder ist geschehen, der alte, unfähige Diktator (plötzlich nennt ihn jeder bei diesem Namen und der respektvolle Präsidententitel wurde am Tahrir Platz begraben) ist von der Bildfläche verschwunden. Die Euphorie des Siegesrausches hält niemals lange an und nüchtern betrachtet sieht die Zukunft unsicher, wenn nicht gar besorgniserregend aus.
Mit der Vertreibung des Diktator hat man auch die Touristen vertrieben. Ein Viertel aller Ägypter lebt direkt oder indirekt von den Einnahmen aus dem Tourismus. Eine Reisende berichtete, sie wäre mit nur zehn anderen Leuten bei den Pyramiden gewesen, wo sonst hunderte oder gar tausende Menschen herumwandern. Das ist ein unvorstellbares Bild, wenn man selbst die Pyramiden im Geschiebe von Touristenmassen besucht hat. Der Sommer hat begonnen und seine Hitze hält immer Besucher von einer Reise nach Ägypten ab. Es ist vorauszusehen, dass sich erst im Oktober - in der besten Reisezeit - die Hotels wieder füllen werden, aber auch das nur, wenn die bevorstehenden Wahlen im September friedlich über die Bühne gehen. Erst nächste Weihnachten könnte die Tourismusmaschine wieder voll anlaufen, doch wie sollen die vielen Menschen, die ohne Arbeitslose oder finanzielle Rücklagen vom Tourismus leben, diese sechs Monate überstehen?
Die Wahlen im September sollen der erste Schritt in Richtung Demokratisierung sein, doch tiefgreifende Veränderungen in der Gesellschaft werden mindestens fünf oder zehn, manche sagen sogar zwanzig Jahre dauern. Angesichts der wirtschaftlichen Misere ist das ein Zeitraum, für den nur wenige Ägypter die Geduld aufbringen können. In einem Zeitalter, in dem Geldgier und Egoismus als Tugenden angesehen werden, ist es noch viel schwieriger, von der ägyptischen Bevölkerung Solidarität und Beharrlichkeit zu verlangen. Sollte Hunger und Not in nächster Zeit ein Problem für einen großen Teil der Menschen hier werden, dann ist das Land auf dem besten Weg in die nächste Diktatur. Die alten Machthaber, das Militär, die Mitglieder der alten, nun aufgelösten Regierung, die korrupte und verkruste Verwaltung und die sehr reichen Familien, geben nur ungern etwas her, und werden das nur unter massiven Druck der Straße tun. In Tunesien fürchtet man schon um den Erfolg der Revolution und dasselbe geschieht auch in Ägypten. Wir alle hoffen, dass die jungen, demokratisch gesinnten Kräfte über genug Einfluss verfügen, um dieses Land in eine bessere Zukunft zu führen. So schnell das eben geht. Und wir wünschen den Ägyptern, dass sie weiterhin stolz auf ihr Land und ihre Leistungen sein können.
janafish am 05. Juli 11
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