Aufstand in Ägypten: 2.2.2011
Morgens teste ich wie jeden Tag, ob das Internet funktioniert. Nichts.
Ich mache mich wieder an die Arbeit und schreibe an meinem Yogamanuskript.
Doch ich habe von niemanden etwas gehört, weiß also nicht, was in der Nacht gelaufen ist. Ich fange an, herum zu telefonieren. Meine Mutter bringt endlich die Nachricht, dass alles friedlich verlaufen sei und Mubarak seinen Rücktritt in 8 Monaten angekündigt habe. Ich glaube nicht, dass das für die Demonstranten genug ist, doch es ist ein Schritt.
Dann die wunderbare Nachricht: Internet funktioniert wieder.
Sofort stürze ich mich auf Facebook und Mails. Endlich sind wir wieder mit der Außenwelt verbunden. Versichere alle über mein Wohlbefinden. Skype mit meinen Eltern, einer Freundin in Wien und einer in Thailand. Wie schön ist doch globale Kommunikation. Endlich alle Nachrichten abrufbar. Nun geht es aufwärts, hoffe ich. Zumindest entspannt die Freigabe des Internets die Lage. Nun können wir nur abwarten, was die nächsten Tage und Wochen bringen.
janafish am 02. Februar 11
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Aufstand in Ägypten: 1.2.2011
Am Morgen rufe ich eine Freundin an, die nach Kairo gegangen ist. Sie ist auf dem Weg zum Tahrir Platz, wo eine riesige Demonstration stattfinden soll.
"So viele Leute sind schon unterwegs," sagte sie, "ich kann es gar nicht glauben. Sehr aufwühlend, sehr emotional."
Ich gehe während des Tages meinen üblichen Aufgaben und Vergnügungen nach, aber innerlich fühle ich diese Aufregung. Überall in ganz Ägypten gibt es riesige Demonstrationen, alles könnte sich heute entscheiden.
Dahab ist ein Platz wie hinter dem Mond. Die Welt könnte untergehen, in Dahab läuft alles wie gehabt. Gäbe es nicht die Gerüchte und das gesperrte Internet würde man in Dahab überhaupt nicht mitbekommen, welche Umwälzungen im Land stattfinden.
Ich rede mit einer Schweizerin, die mit einem Ägypter verheiratet ist. Sie erzählt, heute morgen sei ihr Mann erstmals nervös geworden und hätte gesagt, sie sollte sich eventuell um einen Flug bemühen. Er habe Angst, die Aufständischen kämen von Süden nach Dahab und die Israelis würden von Norden her einmarschieren, weil sie keinen islamischen Staat in Ägypten erlauben würden. Dieses Szenario erscheint mir völlig absurd, aber für sie ist es eine ernsthafte Überlegung wert.
So beobachte ich, wie die Angst und die Unsicherheit mit jedem sein eigenes, grausames Spiel spielt.
Mehrere Leute sprechen davon, nach Europa zu fliegen, nur zur Sicherheit.
Ich treffe eine Freundin zum Mittagessen, die zufälligerweise in zwei Wochen einen Flug nach Deutschland gebucht hat, also ein Ticket hier raus hat. Ich merke, dass ich sie darum beneide. Ich überlege, ob ich meine Mutter anrufen soll, damit sie mir einen Flug bucht. Nur für 1-2 Wochen weg, bis sich die Situation beruhigt hat oder sich abzeichnet, wie es weitergeht.
Doch wieder stellt sich die Frage, was mit meinen Haustieren dann geschehen soll und ich habe ja auch noch andere Verpflichtungen.
Also versuche ich, mich nicht irre machen zu lassen. Abwarten, was nach der großen Demonstration raus kommt.
janafish am 02. Februar 11
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Aufstand in Ägypten: 31.1.2011
Ein normaler Tag, kann man das sagen? Gesprächsthema Nummer eins sind die Ereignisse in Kairo, aber für den heutigen Tag gibt es nicht viel zu berichten. Die Demonstrationen gehen weiter, abgeschwächt, aber trotzdem, und Mubarak bildet weiter die Regierung um, ohne dass das viel Effekt hat.
In Dahab höre ich, die Beduinen hätten die Wüste abgeriegelt, damit keine Probleme hier her getragen werden können. Das könnte erklären, warum so wenige Leute auf der Straße sind und das Dorf irgendwie verlassen wirkt, auch wenn die Kinder auf der Straße spielen und alles normal scheint. Bei einem großen Meeting der Ältesten sei beschlossen worden, hier keine Demonstrationen stattfinden zu lassen. Nach diesen Nachrichten fühle ich mich sehr viel sicherer.
Auch fällt mir ein, dass die Nähe zu Israel eigentlich eine Schutzfunktion für uns hat. Massive Probleme hier würden den Friedensvertrag von Camp David gefährden und das wollen die lokalen Autoritäten sicher nicht.
Die größte Gefahr, die uns droht, ist im Moment Mangel an Lebensmitteln und Benzin. Die Banken bleiben geschlossen und dem Staat geht das Geld aus. Ein Generalstreik soll ausgerufen werden und eigentlich ist ab drei Uhr Ausgangssperre, aber niemand weiß davon und keiner hält sich daran.
Der Tourismus kommt zum Erliegen und das blockierte Internet tut sein übriges, um die wirtschaftliche Situation zu zuspitzen. Mein Vater sagt, Mubarak lässt die Demonstrationen aus hungern und ich fürchte, er hat recht. Werden die Ägypter angesichts von Brot- und Benzinmangel kuschen oder erst recht auf die Barrikaden gehen und einen Bürgerkrieg vom Zaun brechen?
janafish am 02. Februar 11
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Aufstand in Ägypten: 30.1.2011
Ich wache auf und es ist gespenstisch still. Normalerweise liebe ich die Ruhe in Dahab, aber um diese Zeit sollte es nicht so still sein. Keine Autos fahren, nirgendwo eine Hupe und sonst hupt immer irgendwo wer. Keine Kinder auf der Straße, nichts. Ich gehe mit dem Hund spazieren, wie immer, doch zum ersten Mal stecke ich mein Handy ein. Nur für den Fall. Damit könnte ich auch Photos machen. Die Straßen sind ruhig, es sind nur wenige Leute zu sehen, die ihren normalen Tätigkeiten nachgehen. Trotzdem fühle ich Angst, zum ersten Mal richtige Angst. Ich bin froh, nach Hause zu kommen. Prüfe das Internet, immer noch nichts, d.h. die Situation hat sich nicht entspannt. Dann der Anruf einer Freundin aus Kairo. Es sei zu schweren Plünderungen gekommen, die Geheimpolizei wiegle Leute auf, die Polzei ist völlig aus der Stadt verschwunden und nichts mehr wird bewacht oder beschützt. Sie rät, nicht alleine zu Hause zu bleiben und Informationen über einen Fernseher zu bekommen. Ihr Anruf stürzt mich in Panik.
Ich habe nicht einmal eine Telefonnummer meiner Botschaft. Das ist meine erste Aufgabe. Rufe eine Österreicherin in Kairo an, die mir die Nummer besorgen kann. Sie war auf der Freitagsdemonstration und erzählt, überall hätten sich Bürgerwehren gebildet, um die Nachbarschaft vor Plünderungen zu beschützen.
Ich besuche eine deutsche Freundin, die in der Nachbarschaft wohnt und nehme meinen Hund mit. Fühle mich nicht mehr sicher. Wir tauschen Geschichten aus. Sie ist sehr nervös, weil sie einen kleinen Sohn hat und so viele Gerüchte herumschwirren.
Angeblich hätten Beduinen aus dem Nord-Sinai in der letzten Nacht versucht, in den Süden zu kommen, um hier zu plündern, die Süd-Beduinen hätten sie aber zurückgeschickt. In Sharm soll es gebrannt haben. Gut, dass ich das nicht letzte Nacht hörte, sonst hätte ich vor Angst nicht schlafen können. Wir beschließen, Geld von der Bank zu holen und einige Vorräte einzukaufen. Nur für den Fall. Die Geldautomaten geben noch Geld her, die Banken blieben heute geschlossen. Am Weg treffen wir eine Südafrikanerin, die zusammen mit ihrem ägyptischen Mann ein Hotel besitzt. Ihr Mann hat auch einen Schweizer Pass und gehört sicher zu den gut informieren Leuten. Sie beruhigt uns. Die Gerüchte seien nur Gerüchte, nichts davon ist wahr. In Sharm sei gar nichts passiert. Wir seien sicher, die Jackpoints sind alle gesperrt, niemand kann rein oder raus. Das beruhigt ein Stück.
In der Bucht sieht es aus wie immer. Die Touristen liegen am Strand und braten in der Sonne. Die Restaurants haben geöffnet. Aber ich sehe auch viele ernste Gesichter und von den Einheimischen hängt praktisch jeder am Telefon. Informationen, Informationen sind jetzt das wichtigstes, um die Situation einschätzen zu können.
Wieder zu Hause informiere ich meine Botschaft, dass ich im Land bin, damit ich dort registriert bin und die mich anrufen, sollten sie uns evakuieren. Eine Tasche mit dem notwendigsten habe ich gepackt, Geld und Pass liegen bereit, aber achje, was geschieht mit meinen Haustieren, wenn ich weg muss? Der Katze kann ich jede Menge Trockenfutter hinstellen, sodass sie Wochen überlebt. Über den Hund denke ich besser nicht nach, das muss ich dann spontan entscheiden.
Eine Privatschülerin erscheint tatsächlich zu ausgemachten Zeit, doch während des Unterrichts merke ich, wie oft meine panischen Gedanken abschweifen, Szenarien durchspielen oder Erinnerungen an Gespräche und Informationsfetzen abrufen. Es fällt mir schwer, mich zu konzentrieren. Nach der Arbeit ruft meine Mutter an und bitte mich, heimzukommen. Ich versichere ihr, dass es mir gut geht und die Botschaft informiert ist, sodass ich im Notfall von denen evakuiert werden könnte. Ich weiß, sie ist nicht beruhigt und macht sich Sorgen, aber es erscheint mir im Moment wirklich das sicherste, in Dahab zu bleiben.
Hier gibt es noch Militär und Polizei, es gab keine Demonstrationen oder sonstige Unruhen. Gehe ich nach Taba oder Sharm habe ich keine Ahnung, was dort weiter passiert. Soll ich Ägypten tatsächlich verlassen, frage ich mich immer wieder.
Dann telefoniere ich mit einen ägyptischen Freund, der in Downtown in der Nähe des Innenministeriums wohnt. Er versichert mir, es sei gar nicht so schlimm in der Stadt, wie es in den Medien dargestellt werde. Es gäbe nur wenige Plünderungen und auch um das Innenministerium herum sei es ruhig. Er habe selbst zwischen Zamalek und Downtown ohne Schwierigkeiten hin und her fahren können. Die Regierung betreibe gezielte Desinformation, um die Leute in Angst zu versetzen. Die Proteste selbst seien sehr zivilisiert und friedlich abgelaufen. Die Geheimpolizei versuche, Leute zu Plünderungen aufzuwiegeln, aber es sei zu keinen größeren Problemen gekommen.
„Transportiere dieses Bild hinaus,“ bittet er mich. Das werde ich tun. Bin wieder ein Stück ruhiger, da keine unmittelbare Gefahr zu bestehen scheint.
Es fällt mir auf, dass es halb drei Uhr nachmittags ist und ich den ganzen Tag noch nichts gegessen habe. Mir war einfach in der ganzen Aufregung nicht danach. Esse etwas gegen den ärgsten Hunger und überlege, ob ich auch Vorräte horten sollte. Um fünf habe ich endlich soviel gegessen, wie ich normalerweise zum Frühstück zu mir nehme. Die Aufregung schnürt mir die Kehle zu, aber ich werde ruhiger.
Niemand kann sagen, wie es weitergeht. Flieht Mubarak außer Landes, gibt es dann Chaos und Bürgerkrieg? Kann er sich an der Macht halten und mit harter Hand durchgreifen? Oder bleibt die Situation wochenlang im Ungewissen und kommt es dann zu Versorgungsengpässen? Ich bin gerne vorbereitet, also kaufe ich Kartoffeln, Reis und Nudeln, die sich im Fall der Fälle lange haltbar sind.
Der Fall der Fälle, welcher wird eintreten? Ich drücke dem ägyptischen Volk beide Daumen, damit sie endlich einen Zukunft für dieses Land aufbauen können.
janafish am 02. Februar 11
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Aufstand in Ägypten: 29.1.2011
Und dann findet der Aufstand doch statt. Auf der Straße höre ich die ersten Nachrichten, große Demonstrationen in allen Städten, erste Todesfälle. In Dahab gab es keine. Da das Internet in der Früh immer noch nicht funktioniert, nehme ich an, dass die Situation unverändert ist. Ich telefoniere mit Familie und Freunden in Österreich, um an Neuigkeiten zu kommen, und setzte mich zu einer Nachbarin, die AlJaziera empfangen kann. Tagsüber wirkt Kairo wieder ruhig, aber ich kann keinen meiner Freunde dort erreichen. Mubark bildet die Regierung um und es ist nur ein weitere hilfloser Versuch, Kontrolle über die Situation zu halten. Ich wünsche den Ägyptern Glück und hoffe, dass nicht alles im Chaos endet.
Ich bitte alle Freunde im Ausland, mich zu informieren, falls etwas geschieht. Am Abend bleibt das Telefon ruhig und so ich genieße die freie Zeit mit einem Buch.
janafish am 02. Februar 11
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Aufstand in Ägypten: 28.1.2010
Die angekündigte Revolution findet nicht statt. Zumindest noch nicht. Am Vormittag liegt gespannt Aufmerksamkeit in der Luft. Kurz vor dem Mittagsgebet sind auffallend wenig Menschen in Dahab unterwegs, vor der großen Moschee steht ein Polizeiwagen. Die ägyptische Regierung hat das Internet geschlossen und später höre ich, ebenso das Mobilfunknetz in Kairo und anderen großen Städten. Bei uns funktioniere die Telefone noch. Kairo ist hermetisch abgeriegelt, keine Information dringt nach außen. An angespannter Stille vergeht das Mittagsgebet. Aus den Lautsprechern der Moschee klingt es wie jeden Freitag, doch jeder wartet auf das Danach. Danach kommt nichts. Es ist gespenstisch still. Wenige Autos fahren und sie scheinen sehr viel weniger zu hupen als sonst. Jeder hat die Anweisung bekommen, zu Hause zu bleiben und offensichtlich richtet man sich danach. Meine Nachbarin hat Satellitenfernsehen und so sehen wir auf Aljazira, BBC und CCN, ob die etwas über Kairo berichten. Noch eine Stunde nach dem Ende dem Gebet scheint alles ruhig zu bleiben. Wenn es Demonstrationen und Aufstände gegeben hat, dann hören wir vermutlich erst in den nächsten Tag davon.
janafish am 02. Februar 11
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